Manouchehr Shamsrizi gilt als "Tausendsassa der digitalen Welt". Er ist Mitgründer der Forschungsgruppe gamelab.berlin der Berliner Humboldt-Universität, entwickelt Videospiele für Menschen mit Demenz und lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Gaming. Für das ifa-Forschungsprogramm "Kultur und Außenpolitik" beschäftigt er sich mit dem Potenzial von Videospielen und sogenannten Metaversen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP).
Spätestens seit der Umbenennung von Facebook in Meta ist vielfach vom "Metaverse" die Rede. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron sprach im letzten Wahlkampf davon, ein europäisches Metaversum zu errichten. Leben wir also bald im "Metaverse"?
Manouchehr Shamsrizi: Wir haben es hier mit einem definitorischen Wilden Westen zu tun, daher gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage. Derzeit herrscht ein regelrechter Kampf um die Deutungshoheit dieses gehypten Begriffs. Genau genommen stammt die Idee auch nicht aus dem Silicon Valley, sondern aus der Science-Fiction-Literatur der 1990er-Jahre.
In eher dezentral organisierten Krypto-Blockchain-Communities stehen der Erwerb und Handel von virtuellem Eigentum im Vordergrund. In vielen Gaming-Communities sind Austausch und Immersion wichtiger, also der Eindruck von echter "sozialer Präsenz". Es lassen sich bereits zahlreiche Metaverse-Vorstufen beobachten, sogenannte Proto-Metaverses. Im Gaming werden klassischerweise Minecraft, Fortnite und Roblox so gesehen.
Warum muss sich die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) damit beschäftigen?
Shamsrizi: Weil das Thema erhebliche Risiken und Chancen birgt. Zum einen ist die Reichweite enorm. Weltweit gibt es schätzungsweise drei Milliarden Gamer:innen, die sich auch auf Messen, Turnieren und insbesondere Plattformen wie Twitch treffen, wo Videospiele live gestreamt werden. Dort werden aber auch politische Deutungsrahmen und Narrative vermittelt, die Spieler:innen auf ihre Lebensrealität übertragen. Das darf die AKBP nicht länger ignorieren.
Die Kreativindustrie zeigt ja, was möglich ist. Auf Fortnite finden Konzerte, Ausstellungen und Festivals statt, Museen haben virtuelle Ableger eröffnet. Im Blockchain-basierten Decentraland hat Barbados eine Botschaft eröffnet, um als kleiner Staat weltweite Public Diplomacy leisten zu können.
Sie haben es schon angesprochen: Welche Risiken sind damit für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) verbunden?
Shamsrizi: Abgesehen von Fakenews und Desinformation, die sich natürlich auch über Metaverses hervorragend verbreiten lassen, ist ein großes Risiko aus meiner Sicht, das Thema weiter zu ignorieren. Unsere Forschung hat gezeigt, dass die AKBP derzeit unzureichend darauf vorbereitet ist. Im aktuellen External Cultural Policy-Monitor des ifa werden sogar soziale Medien wie Facebook und Twitter noch als „neuartig“ bezeichnet, Videospiele werden nicht einmal erfasst! Und das ist besorgniserregend, denn im Digitalen findet der wirkmächtigste Einfluss von Staaten sicher nicht über deren Twitter- und Facebook-Accounts statt, sondern inzwischen eben auch in Proto-Metaverses.
Digitale Technologien versus analoges Mindset
Welche Empfehlung würden Sie der AKBP abschließend mit auf den Weg geben?
Shamsrizi: Ihre Akteure sollten sich intensiver mit dem Thema beschäftigen und aktiv in bestehende Plattformen einbringen. Dabei ist wichtig, sich voll und ganz auf die Lebenswelt der Gamer:innen einzulassen. Nichts ist tragischer, als digitale Technologien mit einem analogen Mindset zu nutzen und zu erwarten, dass die Dinge in einem Metaverse so laufen wie in der analogen Welt. Wenn ich beispielsweise in Minecraft ein Kulturaustausch-Projekt organisiere, kann ich der Zielgruppe nicht erklären, dass das Internet plötzlich Öffnungszeiten hat und dass man nur bis 19 Uhr spielen darf, weil dann kein Vertreter der Mittlerorganisationen im Büro ist.
Das habe ich selbst schon erlebt. Wenn ich in einem Metaverse aktiv sein will, heißt das eben auch, sich auf die dazugehörige Kultur einzulassen – und zumeist Tag und Nacht dabei zu sein. Meine wesentliche Empfehlung wäre daher auch, viel stärker auf das Potenzial im eigenen Haus zu setzen. Wenn es da draußen um die drei Milliarden Gamer:innen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, in den eigenen Reihen jemanden zu finden, der sich mit Videospielen auskennt. So jemand ist besser geeignet, ein eigenes Projekt anzustoßen, als jede externe Agentur.
Denn, um abschließend aus einer kürzlich veröffentlichten Studie zu zitieren: "Wie disruptiv ist das Metaverse? Es hängt davon ab, wie gut man es kennt."