Auf dem Bild ist ein kleiner Raum mit zahlreicher technischer Ausstattung zu sehen. Der Raum erinnert an einer Werkstatt. Neben dem Rechner gibt es auch Draht, Werkzeug und Messinstrumente, alle ordentlich auf kleiner Arbeitsfläche verstaut. Das Foto gibt einen Einblick in die Aktivitäten der Copincha-Gesellschaft in Kuba.

Hacker-Space auf kubanische Art

In Kuba ist der Zugang zu vielen Materialien schwer. Im Copincha Lab bietet CCP Alumnus Maurice Haedo Sanabria einen Ort und Workshops an, um Technologien zu teilen, neue Ideen zu kreieren und voneinander zu lernen – über Open Source zu 3D-Drucken.

"Lasst uns Geld zusammenlegen, einen 3D-Drucker kaufen und sehen, was dabei herauskommt", das war eines der ersten Projekte, das Maurice Haedo Sanabria und seine Kollegen in Havanna initiierten. "Davor wurde zwar viel über 3D-Drucker gesprochen, aber es war eher eine abstrakte Idee." In Kuba ist es unmöglich, einen 3D-Drucker in einem Geschäft zu kaufen oder ihn bei einem Online-Händler zu bestellen.   

"Also sagten wir einem Freund, der die Möglichkeit hatte, ins Ausland zu reisen: Bring einen 3D-Drucker mit, wir geben dir das Geld", erzählt Haedo. Der heute 38-jährige Industriedesigner hat jahrelang Gabelstapler für staatliche Unternehmen auf der Insel entworfen - immer mit dem Schwerpunkt auf Reparatur und der Frage, wie man die begrenzten Ressourcen des Landes optimal nutzen kann. Das brachte ihn dazu, über andere mögliche Bereiche nachzudenken, sagt er.

Als der 3D-Drucker ankam, organisierten wir eine Veranstaltung und nahmen ihn gemeinsam in Betrieb. Die Aufregung war groß.

Maurice Haedo Sanabria

Und so entstand in 2018 das Copincha Lab. Haedo richtete seine kleine Wohnung im Zentrum Havannas als offene Werkstatt ein und lud Freunde ein, Technologien zu teilen und voneinander zu lernen. "Pincha" ist das kubanische Slangwort für Arbeit. Copincha bedeutet also Co-Working und steht für gemeinschaftliches, kollektives Arbeiten.

"Als der 3D-Drucker ankam, organisierten wir eine Veranstaltung und nahmen ihn gemeinsam in Betrieb.  Die Aufregung war groß", sagt Haedo und lacht. Auch wenn es zuvor schon einen Elektronik-Workshop gegeben hatte, war der 3D-Drucker in gewisser Weise der konstituierende Akt des Copincha Lab. "Die Leute haben Geld gesammelt, einer hat den Drucker durch den Zoll gebracht, und wir haben die einzelnen Teile zusammengebaut." All dies hat den Menschen das Gefühl gegeben, Teil eines größeren Ganzen zu sein, sagt Haedo.

Gemeinsam Wissen schaffen

Das Foto zeigt eine Gruppe von Menschen, die auf den Laptop-Bildschirm schauen, während eine Person vor dem Bildschirm etwas erklärt. Alle Menschen stehen in einem Raum, der wie ein Werkstattraum aussieht, mit technischer Ausstattung auf dem Schreibtisch. Das Foto ist Teil der "Überraschungskaffees", die in Rahmen des Copincha Labs stattfinden.
"Überraschungskaffees" - Besprechung über 3D Drucken aus den recycleten Flaschen © Copincha

Im Laufe der Zeit wurde die offene Werkstatt systematisch gestaltet.  Jetzt finden regelmäßige Treffen statt, von den Teilnehmenden "Überraschungskaffees" (cafés sorpresas) genannt, bei denen Ideen zu verschiedenen Themen ausgetauscht werden. In der Regel nehmen 10 bis 20 Personen daran teil, virtuell sind es ebenso viele.  Unter ihnen befinden sich Programmierer:innen, Ingenieur:innen, Soziolog:innen, Ärzt:innen, Tischler:innen und bildende Künstler:innen. "Wir laden verschiedene Leute zu den Chats ein, um über eine bestimmte Fähigkeit oder ein bestimmtes Projekt zu sprechen." Das kann ein:e Schuhmacher:in sein oder jemand, der ein komplexes Projekt an der Universität bearbeitet. "Wir interessieren uns für die technologischen Erfahrungen.  Gemeinsam entschlüsseln wir sie dann in einem sozio-technischen Sinne: Was sind die technologischen Schlüssel? Welche Wirkung haben sie in der Gesellschaft?"

Haedo erklärt dies am Beispiel eines Schuhmachers, der im Laufe der Jahre bestimmte Fähigkeiten oder Techniken entwickelt hat. Er kann diese Technik oder ein Problem in seinem Arbeitsprozess vorstellen. Die Gemeinschaft sucht dann nach einer Lösung für dieses Problem, das auch andere Schuhmacher betreffen kann. Oder die Gemeinschaft sagt: Die Technik, die du entwickelt hast, ist eine Lösung oder ein inspirierender Ansatz für andere Bereiche.

"Das Wissen der Gemeinschaft nutzen oder neues Wissen schaffen", so nennt Haedo das Prinzip. In diesem Sinne ist Copincha ein Hacker-Raum, ein Labor zur Verbesserung experimenteller Praktiken mit Technologien, die auf einen sozialen oder gemeinschaftlichen Nutzen abzielen, sagt er. Was möchten Sie erreichen? Welche Bereiche wurden bereits erforscht? Welche Werkzeuge stehen für Ihr Vorhaben zur Verfügung? Das Labor arbeitet nach dem Open-Source-Prinzip: die offene Beteiligung der Menschen und die Weitergabe von Informationen, damit die Menschen sie nutzen können. Technologie ist kein linearer, sondern ein rhizomatischer Prozess, sagt Haedo. "Unsere Treffen schaffen Berührungspunkte zwischen unterschiedlichen Wissensgebieten; diese Berührungspunkte wiederum schaffen Räume, um diese Verbindungen zu potenzieren. So entstehen Projekte, die zu konkreten Lösungen führen, oder Workshops zur Wissenserweiterung."

Schmuck aus dem 3D-Drucker

Eine Copincha-Gruppe hat sich zum Beispiel rund um den 3D-Drucker gebildet. Anhand des Modells, das sie gemeinsam gekauft hatten, begannen sie, ihre eigenen 3D-Drucker zu bauen. Bald kamen weitere Projekte hinzu, denn 3D-Drucker benötigen Filamente.  Filamente sind Kunststofffäden, die vom 3D-Drucker eingeschmolzen und so Schicht für Schicht zu einem Objekt verarbeitet werden. Das Material muss meist teuer importiert werden. Wie könnten sie also ihr eigenes Material für den Druck herstellen, war eine der Fragen. "Wir bauen seit kurzem Maschinen, die Plastik (PET) aus Wasserflaschen zu Plastikfilament für 3D-Drucker recyceln", sagt Haedo.

Ein weiteres Problem: Beim Drucken entsteht Plastikmüll. Wie kann dieser Abfall zur Herstellung von neuem Druckmaterial verwendet werden, das heißt, wie kann ein Kreislauf entstehen? Haedo startete daher eine Initiative für das Recycling von Kunststoffen, an der er mit staatlicher Unterstützung "praktisch das ganze Jahr 2022 über" arbeitete. Das Projekt ermöglichte es ihm, eine Reihe von Akteur:innen - staatliche, formelle und informelle - zusammenzubringen und Wissen und Praktiken auszutauschen. Das ist ein weiteres Prinzip des Copincha Labs: Eine Idee wird in einem bestimmten Raum ausgebrütet und entwickelt und dann in einen größeren Kontext gebracht.

Das Bild zeigt Menschen, die im Halbkreis sitzen und ihre Aufmerksamkeit den Notizen auf der Tafel widmen. Vor der Tafel steht ein Mann, der an der Tafel schreibt. Im kleinen Raum befindet sich ein langer Tisch, auf welchem Laptops und Verlängerungskabel zu sehen sind. Das Foto wurde aus Vogelperspektive aufgenommen und erfasst auch den markanten grün-rot Muster auf den Bodenfliesen.
Workshops zur Wissensermittlung und Wissenserweiterung © Copincha

"3D a lo cubano"

Verschiedene Projekte wurden auch mit dem 3D-Drucker selbst in Angriff genommen: eines der Mitglieder ist Juwelier und hat ihn zur Herstellung von Schmuck verwendet. Andere sind Mediziner:innen, die ihn für die Herstellung medizinischer Prototypen nutzen. Eine weitere, ursprünglich aus Copincha stammende Gruppe namens "3D auf Kubanisch" ("3D a lo cubano") beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Bau eigener 3D-Drucker und der Erkundung der Möglichkeiten verschiedener Materialien wie Holz, Plexiglas und Metall. 

Haedos Hauptaufgabe besteht zurzeit darin, das Labor zu systematisieren und eine bessere Infrastruktur zu entwickeln, sagt er. Derzeit werden die Informationen auf einem Server eines Mitarbeiters in Amsterdam gespeichert. Auf diesem Server werden auch die Projekte gespeichert; er dient als Plattform für die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten. "Wie Google Docs, aber auf der Basis von Open-Source-Software", sagt Haedo. Er fügt hinzu, dass dies die Zusammenarbeit an gemeinsamen Projekten ermöglicht. "Darüber hinaus gibt es Wikis, kollaborative Websites, die es uns ermöglichen, Informationen online zu stellen, und die Menschen können von überall aus dazu beitragen." Wikipedia funktioniert nach dem selben Prinzip. Aber die Idee ist, einen nationalen Server zu haben, damit die Leute nicht unbedingt das Internet (und teure mobile Daten) benutzen müssen, um darauf zuzugreifen, erklärt Haedo.

Oft gibt es sehr einfache Lösungen mit geringem technologischem Anspruch, die auch vielen anderen helfen können.

Maurice Haedo Sanabria

Er sieht Copincha in erster Linie als einen Ort des gemeinsamen Experimentierens, um kollektives Wissen zu schaffen und zu teilen und um Lösungen zu entwickeln – vor allem angesichts des kubanischen Kontextes, der durch Ressourcenknappheit in vielen grundlegenden Bereichen gekennzeichnet ist: "Gleichzeitig ist es ein Kontext, in dem man immer nach Lösungen suchen muss."

"Oft gibt es sehr einfache Lösungen mit geringem technologischem Anspruch, die auch vielen anderen helfen können." Als Beispiel nennt Haedo die kubanischen Automechaniker:innen, die immer wieder kreative Lösungen für die jahrzehntealten US-Oldtimer finden, die noch auf Kubas Straßen unterwegs sind.

Auf dem Bild sind drei Männer zu sehen, die gemeinsam an der Reparatur arbeiten. Sie haben unterschiedliche Drahten in den Händen und überprüfen diese mit anderen Geräten. Die Reparatur findet auf einem Tisch statt, auf welchem sich noch ein Laptop, Kugelschreiber und Lineal befinden.
"Café Reparación" unterstützt kreative Reparaturmethoden © Copincha

"Bereiche wie Copincha können diese Praktiken in andere Kontexte übertragen", sagt Haedo. "Dafür müssen wir die Art und Weise, wie wir Informationen teilen und austauschen, wie wir gemeinsam Projekte entwerfen und wie wir lernen, neu überdenken." Man könne sich Lehrvideos auf Instagram oder YouTube ansehen, sagt er, aber es gehe darum, die Praktiken durch die Praxis zu verinnerlichen. "Was ich mir wünsche, ist eine Zukunft, in der die Menschen mehr Ideen teilen und zusammenarbeiten – das kann uns viele Antworten auf die Probleme geben, die wir heute haben, sei es im Umwelt- oder im Sozialbereich."

Redaktion und Autoren
Portrait von Andreas Knobloch
Andreas Knobloch
Journalist

Andreas Knobloch lebt und arbeitet seit zehn Jahren in Havanna. Er schreibt als freier Journalist für deutschsprachige Zeitungen und Magazine über politische und ökonomische Themen in Lateinamerika.