Ein halbes Jahrhundert Kunst einer globalisierten Welt

2021, ein Jahr der Jubiläen. Die ifa-Galerie Stuttgart wird 50, die ifa-Galerie Berlin 30 Jahre alt. Vom ethnografischen Fokus über zeitgenössische Kunst bis hin zu Räumen des Experimentierens standen immer internationale Kunstschaffende im Mittelpunkt. Ein Rückblick auf die Anfänge, die Entwicklung des Programms und ein Ausblick auf das Kommende mit Bettina Korintenberg, Leiterin der ifa-Galerien.

Man muss sich vor Augen halten, dass wir in den 1980ern und frühen 90ern noch kein Internet hatten. Das heißt, ich bin zum Beispiel auf der Suche nach interessanter zeitgenössischer Kunst nach Ghana gereist, das war unglaublich spannend. – Iris Lenz, ehemalige Leiterin der ifa-Galerien

Zeichnung von Joseph Beuys, Ausstellungsansicht Aufzeichnungen einer Seherin, ifa-Galerie Berlin, © Victoria Tomaschko

Kunst ist tief in der Geschichte des ifas verankert. Die ifa-Galerien in Berlin und Stuttgart blicken im Jahr 2021 auf 30 und 50 Jahre Begegnungen von Menschen, Ideen, Kunstwerken und kritischen Diskursen in ihren Räumen zurück. Den Fokus bilden dabei Gegenwartskunst und aktuelle kultur- und gesellschaftspolitische Entwicklungen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa.

Die Anfänge

1971, vor genau 50 Jahren, eröffnete das ifa seine erste Galerie in Stuttgart. Sie sollte Raum für zeitgenössische Kunst und Architektur aus Regionen bieten, aus denen Kunstschaffende nur schweren Zugang zu europäischen Ausstellungsmöglichkeiten haben. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands kam 1991, vor 30 Jahren, die ifa-Galerie Berlin dazu. Die 1980 gegründete Bonner Galerie wurde 2003 geschlossen.

Anfangs waren die Galerien vorwiegend rezeptiv ausgerichtet. Der Fokus war ethnografisch, insbesondere in Bonn wurden Ausstellungen realisiert, die von ausländischen Botschaften angeboten wurden. Die Galerien zeigten Volkskunst aus Mazedonien, rumänische Holzschnittkunst und Kunst der Bergvölker im Hindukusch.

Seit 1990 wird das Programm aktiver gestaltet, Architektur gewann als Schwerpunktthema zunehmend an Bedeutung und sowohl in Bonn als auch in Stuttgart trat zeitgenössische Kunst in den Vordergrund. So realisierte Alexander Tolnay, damaliger Leiter der Galerien, 1993 beispielsweise die Ausstellung "Erste Schritte, zeitgenössische Kunst in Rumänien". Die Ausstellung ermöglichte in Westdeutschland Blicke in Kunstszenen, die durch die Teilung von West und Ost bis dahin völlig unbekannt waren.

©ifa
©ifa
©ifa
©ifa
©ifa

Das Programm

Viele der Projekte in den ersten Jahren der Galerien waren früh für ihre Zeit. Das Angebot eines kontinuierlichen Raumes für zeitgenössische Kunst und Architektur aus Lateinamerika, Afrika und Asien war in Zeiten, in denen die Kunstszenen noch nicht so vernetzt waren, im deutschen Ausstellungsgeschehen Alleinstellungsmerkmal der ifa-Galerien. Mit der Globalisierung des Kunstfeldes und einer zunehmenden digitalen Transformation der Gesellschaft seit den 1990er-Jahren machte sich auch ein Umbruch in der Ausstellungspraxis der Galerien bemerkbar.

2001 begannen die ifa-Galerien damit, über das ausschließliche Ausstellen von internationaler Kunst hinaus mit thematischen Reihen zu arbeiten, eine Praxis, die bis heute anhält. Im Vordergrund steht dabei unter Titeln wie "Fokus Nahost", "Nationale Identitäten" oder aktuell "Umwelt. Environment" die Auseinandersetzung mit gesellschafts- und kulturpolitischen Themen von internationaler Relevanz.

Die Galerien sind mit einem großen globalen Netz an Akteuer:innen aus der Kunst verknüpft, dessen Stärke gerade in jungen, informellen und oftmals noch unbekannten Szenen jenseits des Kunstmarktes liegt. Dazu kommt ein Hintergrundnetz von ifa-übergreifenden Kontakten aus der auswärtigen Kulturpolitik sowie zu zivilgesellschaftlichem Engagement. Im Zusammenbringen dieser diversen, interdisziplinären Kontexte, Praktiken und Geschichten entstehen kreative Räume und neue Formen von Wissen und Verstehen. Seit 2020 entwickeln die ifa-Galerien in Berlin und Stuttgart gemeinsam ein Programm, das künstlerische Positionen aus dem Kunstbestand des ifas mit internationalen Künstler:innen in Dialog bringt und neue Perspektiven, Interpretationsschichten und Bezüge auffaltet.

Berlin und Stuttgart als Standorte

Im Kontext des ifa entstanden, sind die beiden Galerien eng verwandt und dennoch maßgeblich verschieden. Tief in ihren jeweiligen Standort integriert haben die beiden Räume ähnliche Interessen und unterschiedliche Blickwinkel und Umsetzungen.

In Stuttgart ist die Kulturszene überschaubarer und weniger international als in Berlin, die ifa-Galerie bietet hier Kunst und Kunstvermittlung für ein breiteres Publikum an. Außerdem hat sich inspiriert durch Stuttgart als Stadt mit der höchsten Architektendichte Europas ein Architekturschwerpunkt herausgebildet.

Sporthalle der Panyaden-Schule, Namprae, Thailand Chiangmai Life Architects, Markus Roselieb und Tosapon Sittiwong, Innenansicht, © Alberto Cosi
Screenshot der Website "Untie To Tie", 2017, ©ifa

Die Stadt Berlin lebt und atmet Internationalität, hier sind Künstler:innen und Kulturschaffende aus der ganzen Welt versammelt. Das prägt die Arbeit der ifa-Galerie Berlin und sie agiert stärker im theoretischen Diskurs. 2017 ist unter der Leitung von Alya Sebti das transdisziplinäre Projekt "Untie to Tie" entstanden, das spezifisch auf Berlin zugeschnittene Themenreihen zu kolonialen Vermächtnissen, Bewegung, Migration und Umwelt realisiert.

4 Fragen an Bettina Korintenberg, Leiterin der ifa-Galerien

ifa: Wie würden Sie die ifa-Galerien in zwei Sätzen beschreiben?

Korintenberg: Ich nehme die Galerien als Orte wahr, in denen über Kunst Begegnungen geschaffen werden, die die Welt in ihrer Vielheit erfahrbar und verstehbar machen und damit für Offenheit, Dialog und Diversität stehen. Sie sind von einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen und Diskussionen geprägt und beweisen immer wieder ein gutes Gespür für kommende Entwicklungen.

Welche Aufgabe haben Kunst- und Kulturräume in unserer heutigen Gesellschaft?

Korintenberg: Wir leben in einer von Umbrüchen und Transformationen geprägten Zeit, einer Zeit in der grundlegende Strukturen hinterfragt werden. Es geht darum, gemeinsam neue Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu finden, bei denen das Lokale und das Globale in ein spezifisches Bezugsverhältnis zueinander treten. In diesen Zeiten tiefgreifender Transformationen kommen Kunst und Räumen der Kunst und Kultur eine besondere Verantwortung zu. Sie haben das Potential, Bestehendes zu hinterfragen, aber auch Kommendes zu imaginieren und spekulieren.

ifa: Wie funktionieren die Galerien in Berlin und Stuttgart miteinander?

Korintenberg: Die ifa-Galerie in Berlin und die in Stuttgart haben verschiedene Schwerpunkte und sind tief integriert in ihren jeweiligen Standort. Unter diesen Voraussetzungen verstehen sie sich im Austausch, Dialog und Miteinander. Uns gegenseitig zu unterstützen und eine gemeinsame Praxis und Haltung zu stärken – das ist es, was die Welt der Kunst und Kultur und unsere Gesellschaften insgesamt brauchen.

Auf die nächsten 30 bis 50 Jahre! Was können Besuchende zukünftig von den Galerien unter Ihrer Leitung erwarten?

Korintenberg: Ich sehe den Raum der Galerie mehr als einen Raum des Experimentierens. Ein Raum der Begegnung, der sich aus dem Zusammentreffen, Gesprächen und Ideen entwickelt, die im Miteinander aufkommen und die den Raum peu à peu bewohnen. Gerade in einem Kontext wie dem ifa ist ein Bewusstsein und vor allem auch Lernen dekolonialer Sensibilitäten und Praktiken höchst relevant. Zunächst einmal bedeutet das Zuhören, Zulassen und Raum geben. Daraus können sich dann Prozesse des gemeinsamen Lernens und Verlernens entwickeln. In diesen Zusammenhängen werden die Ausstellungen keiner vorgefertigten Choreografie folgen, sondern von unterschiedlicher Dauer sein und verschiedene Arten von Begegnung ermöglichen.

Bettina Korintenberg

ist seit 2021 Leiterin der ifa-Galerien. Im Fokus ihrer kuratorischen und wissenschaftlichen Praxis steht ein kritisches Befragen der digitalen und globalen Medienökologie sowie westlich geprägter Paradigmen der Moderne vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher und ökologischer Transformationen. Ihr besonderes Forschungsinteresse liegt in der Untersuchung von alternativen Raum-Zeit-Konfigurationen und Formen gesellschaftlicher Kollektivität mittels interdisziplinärer und gemeinschaftlicher Prozesse.