Iris Lenz, Leiterin der ifa-Galerien im Gespräch

Iris Lenz und die ifa-Galerien

Was zeichnet die ifa-Galerien aus? Warum ist der Standort einer Galerie entscheidend für ihr Programm? Und was sind aktuelle Themen in der Kunst? Galerieleiterin Iris Lenz blickt auf 30 Jahre in ihrem Traumjob zurück.

Finissage nach 30 Jahren

ifa: Frau Lenz, Sie sind bereits seit über 30 Jahren am ifa. In der Zeit hat sich mit Sicherheit eine Menge getan. Wie haben sich die Galerien in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt?

Iris Lenz: Die erste Galerie in Stuttgart wurde 1971 eröffnet. Dahinter stand die Überlegung, dass Kulturaustausch eine Zweibahnstraße sein muss, dass wir nicht nur Tourneeausstellungen deutscher Kunst im Ausland zeigen, sondern auch zeitgenössische Kunst aus Transformations- und damals noch Entwicklungsländern, also Regionen mit schwerem Zugang zu europäischen Ausstellungsmöglichkeiten, in Deutschland. 1981 kam die Galerie in Bonn dazu und 1991 die in Berlin. Die Bonner Galerie wurde 2003 geschlossen.

Anfangs waren die Galerien eher rezeptiv ausgerichtet. Der Fokus war stärker ethnografisch geprägt, es gab Ausstellungen über Volkskunst aus Mazedonien, rumänische Holzschnittkunst, Bergvölker im Hindukusch. Im Laufe der Zeit rückte die zeitgenössische Kunst immer stärker in den Vordergrund, außerdem kam die Architektur als Schwerpunktthema dazu.

Um 1990 haben wir angefangen, das Programm aktiv zu gestalten, sowohl in Bonn als auch in Stuttgart. Man muss sich vor Augen halten, dass wir in den 1980ern und frühen 90ern noch kein Internet hatten. Das heißt, ich bin zum Beispiel auf der Suche nach interessanter zeitgenössischer Kunst nach Ghana gereist. Mein Vorgänger hier in Stuttgart, Alexander Tolnay, hat die Ausstellung "Erste Schritte, zeitgenössische Kunst in Rumänien" realisiert. Damals waren West und Ost noch geteilt, wir haben Blicke in Kunstszenen geworfen, die hier bis dahin völlig unbekannt waren. Das hat sich im Laufe der Zeit natürlich ungeheuer verändert. Die gesamte Kunstszene ist viel internationaler geworden und die Informations- und Kommunikationswege sind heute ganz andere.

Kunst einer globalisierten Welt

ifa: Würden Sie sagen, dass das ifa mit seinen Galerien eine Vorreiterposition im Bereich internationale Kunst hatte?

Lenz: Ja. In den früheren Jahren der ifa-Galerien gab es in Deutschland keinen anderen Ort, an dem kontinuierlich zeitgenössische Kunst und Architektur aus Lateinamerika, Afrika und Asien gezeigt und vermittelt wurde. Heute sind Ausstellungen internationaler Künstlerinnen und Künstler in deutschen Museen und Kunstvereinen die Regel.

ifa: Was zeichnet die ifa-Galerien heute aus?

Lenz: Es hat für uns nach wie vor einen hohen Stellenwert, dass wir weiterhin kontinuierlich und ausschließlich internationale Kunst ausstellen. Mit der Internationalisierung der Kunstszene mussten und müssen wir aber laufend hinterfragen, was unser Alleinstellungsmerkmal ist. Deshalb haben wir 2001 begonnen, mit thematischen Reihen zu arbeiten, in denen wir uns mit umfassenden gesellschaftspolitischen und kulturpolitischen Themen auseinandergesetzt haben. Angefangen haben wir mit der Reihe "Fokus Nahost" und dann "Islamische Welten". Unter dem Titel "Nationalitäten Identitäten" diskutierte die darauffolgende Reihe die immer noch ungemein aktuellen Fragen der Identität und hybrider Identitäten. 2004 startete eine Reihe über Megacitys. Immer mehr Menschen auf dieser Welt werden in Megacitys leben, die Städte sind ein immer größeres Problem – klimatisch, politisch, sozial. Das Ziel der Reihen ist es, verschiedene Aspekte von Themen zu zeigen, die international gesellschaftspolitisch relevant sind.

Der Charakter des Ortes

ifa: Erarbeiten die Galerien in Berlin und in Stuttgart gemeinsame Themenreihen?

Lenz: Wir haben bis vor 4 Jahren gemeinsam gearbeitet, sodass wir in Stuttgart zwei Ausstellungen im Jahr realisiert haben und in Berlin zwei. Diese Ausstellungen wurden im Anschluss auch in der jeweils anderen Galerie gezeigt. Das haben wir aber eine Zeit lang aufgegeben, weil die Standorte Berlin und Stuttgart sehr unterschiedlich sind.
Das Kultur- und Kunstangebot in Berlin ist ungleich größer als in Stuttgart. Das heißt, es ist sehr viel schwieriger, sich innerhalb dieser Szene in Berlin einen ganz eigenen, spezifischen Ort zu schaffen, der von einem ganz bestimmten Publikum kontinuierlich rezipiert wird.

In Stuttgart ist das sehr viel offener, die Kulturszene ist deutlich kleiner und weniger international. Hier haben wir zum Beispiel einen Architekturschwerpunkt. Wir beziehen immer die Architektur mit ein, also Baukunst im besten Sinne des Wortes. Architektur ist die Kunst, die am allerstärksten unablässig und unmittelbar unser Leben prägt, im privaten wie im öffentlichen Bereich. Und Stuttgart ist eine Architekturstadt. Sie hat die höchste Architektendichte in Europa und drei sehr gute Hochschulen, aber es gibt keinen Ort neben der ifa-Galerie Stuttgart, an dem internationale Architektur vorgestellt und diskutiert wird. In Berlin gibt es das schon. Das war ein Grund dafür, dass wir in Berlin stärker im theoretischen Diskurs agieren, während wir in Stuttgart eher für ein breiteres Publikum arbeiten.

ifa: Eine Architekturstadt ohne einen Ort, diese Kunst auszustellen und zu diskutieren. War es Ihnen ein besonderes Anliegen, dass die ifa-Galerie diese Möglichkeit bietet?

Lenz: Ja! Es existiert nur die sehr kleine Weißenhofgalerie, die in der Regel deutsche Architekturbüros vorstellt. Außerdem gibt es den BDA Wechselraum, das Schaufenster des Bunds Deutscher Architekten. Die internationale Perspektive fehlt jedoch komplett. Es war uns immer wichtig, dieses Spektrum zu erweitern.

ifa: Galerien sind also stark in den Ort eingebettet, an dem sie sich befinden. Gibt es in Berlin auch ein so prägendes standortspezifisches Thema?

Lenz: Vielleicht die sehr viel präsentere Internationalität der Stadt. In Berlin sind ungemein viele Kulturschaffende, Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt versammelt. Zumindest unterschwellig ist das ein dauerhafter Schwerpunkt der Galerie. Alya Sebti, zusammen mit Inka Gressel die neue Leitung in Berlin, hat 2017 das Projekt "Untie To Tie" entwickelt, das spezifisch auf Berlin zugeschnittene Themenreihen über jeweils ein bis zwei Jahre hinweg realisiert. Trotzdem sind wir aktuell dabei, wieder verstärkt gemeinsam zu agieren.

ifa: Wie kam es dazu?

Lenz: Die Inhalte und die Interessen der beiden Galerien sind trotzdem sehr ähnlich gelagert. Durch den Lockdown etwas verspätet starteten wir im Oktober mit der Reihe "Umwelt. Environment". In Stuttgart mit der Ausstellung "Fibra. Zeitgenössische Architektur mit Pflanzenfasern", in Berlin mit "La Escucha oder Die Winde", eine Ausstellung mit argentinischen Kunstschaffenden, Aktivistinnen und Aktivisten.

Wir werden ein Jahr lang gemeinsam Projekte zum Thema Umwelt realisieren. In verschiedenen Ausstellungsprojekten aus unterschiedlichen Regionen der Welt werden nachhaltiges, bewusstes Wirtschaften, das Umgehen mit Ressourcen sowie alternative Entwürfe, Denk- und Handlungsweisen, unter anderem von indigenen Gemeinschaften, thematisiert werden.

"Grüne" Kunst

ifa: Ist Nachhaltigkeit ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Lenz: Ja, es hat spätestens 2010 mit der Ausstellung "Post-Oil City" angefangen. Sie wurde für die ifa-Galerie Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Magazin "Arch+" konzipiert und war so spannend und erfolgreich, dass sie im Anschluss bis letztes Jahr durch die ganze Welt tournierte.

Seitdem haben wir immer wieder Projekte entwickelt, die ganz bewusst auf einen anderen Umgang mit unseren Ressourcen, mit Natur, mit unseren Lebensentwürfen abzielen. Das Thema ist aktueller denn je, deshalb haben wir uns für die neue Reihe "Umwelt. Environment" entschieden. Wir glauben, dass wir eine ganze Menge von indigenen Gemeinschaften und deren Umgang mit ihren Ressourcen und der Natur lernen können. Ich bin davon überzeugt, dass es eines unserer wichtigsten Probleme ist, die wir angehen müssen, trotz Corona.

ifa: Vielleicht auch wegen Corona? Werden durch die aktuellen Einschränkungen Reisen in der Kunstszene neu gedacht und überdacht?

Lenz: Absolut. Das Kunstmagazin "art" beschäftigt sich zurzeit beispielsweise mit der Frage, wie "grün" die Kunstszene ist. Es wird dargestellt, wie unverantwortlich der Tourismus zu Biennalen und internationalen Ausstellungen eigentlich ist. Wie das anders gehen kann, wird sich sicherlich in den nächsten Jahren zeigen. Auf der anderen Seite merken alle Kulturinstitute, dass die digitalen Formate leider kein adäquater Ersatz sind. Sie sind eine Möglichkeit, weiter zu streuen und vielleicht auch andere Besucher zu generieren, aber ich denke, das persönliche Erlebnis vor und mit dem Originalkunstwerk sowie der Austausch davor und darüber mit anderen ist digital nicht zu leisten.

Das Potential zu gesellschaftlicher Veränderung

ifa: Mit welchen anderen Themen beschäftigt sich die Kunstszene aktuell?

Lenz: Das postkoloniale Erbe und die Rückgabe von Raubgut werden aktuell intensiv diskutiert. Außerdem die Spaltung der Gesellschaft, wie sie exemplarisch in den USA, aber auch in Deutschland mit dem immer stärker öffentlich werdenden Rechtsradikalismus zu verzeichnen ist. Ich denke, das ist eines der Themen, die in Zukunft nicht nur in der Kunst selbst behandelt werden, sondern auch in den Institutionen Eingang finden müssen.

Ein weiteres Thema, das schon seit einigen Jahren aktuell ist und weiterhin sein wird, sind hybride Identitäten. Wie gehen wir in einer Gesellschaft mit Menschen unterschiedlichster Prägung um? Das ist aus meiner Sicht wirklich eine Aufgabe der ifa-Galerien: Zu vermitteln, dass kulturelle Vielfalt als Movens für die Gestaltung der Welt begriffen und eingefordert werden muss.

ifa: Daran lässt sich erkennen, dass Themen sich wiederholen. Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs von einer Ausstellung über Identitäten aus den frühen 2000ern gesprochen. Man würde meinen, wir wären heute weiter.

Lenz: Nein, man ist vielleicht nur ein wenig differenzierter. Das fand ich immer sehr spannend: Themen zu erspüren und zu setzen. Ein Beispiel ist die Themenreihe "Fokus Nahost". 1999/2000 erkannten wir: Der Nahe Osten ein Brennpunkt. Die erste Ausstellung in der Reihe wurde am 11. September 2001 eröffnet. Und dann war es von heute auf morgen ein großes Thema.

ifa: Kunst funktioniert also nicht losgelöst von der Gesellschaft, bei der Überlegung neuer Themen geht es darum, was aktuell gesellschaftlich relevant ist.

Lenz: Ja, ganz eindeutig. Wenn ich überlege, was Kunst für mich bedeutet, dann ist die Begegnung mit Kunstwerken immer ein Innehalten, ein Nachdenken und Neudenken. Es ist ein Auseinandersetzen mit einem Kunstwerk, aber auch mit anderen über Kunstwerke und über Kunst. Dieser Austausch, dieses Neudenken, das hat Potential zur gesellschaftlichen Veränderung.

Eines der Projekte, die mir besonders im Kopf geblieben sind, war "Der neue iranische Film". In der Ausstellung hat sich die gesamte iranische Community mit Kind und Kegel, Oma und Vesperkorb getroffen. Sie sind von überall hergekommen und lange geblieben. Sie haben viele Filme geguckt und sich mit dem deutschen Publikum ausgetauscht, unterhalten und berichtet. Das war für mich ein ganz wichtiger Moment. Das ist das, was man sich bei dieser Arbeit wünscht.

Mit allen Kunstwassern gewaschen

ifa: Können Sie sich auch an Projekte erinnern, die nicht so glatt liefen? Geschichten, über die Sie heute lachen können?

Lenz: Eine meiner ganz frühen Ausstellungen war über Malerei aus Bangladesch in der ifa-Galerie Bonn. Sie sollte über die Bangladescher Botschaft geliefert werden, aber sie kam zu spät. Die Einladungen waren verschickt und ich stand am Tag der Eröffnung in der Galerie, die Besucherinnen und Besucher kamen und es war alles leer. Es war eine Ausstellungseröffnung ohne Exponate und wir haben ein Glas Wein zusammen getrunken und gelacht. Stressig ist es jedes Mal und es gibt immer etwas, das nicht klappt. Aber irgendwie funktioniert es dann aber trotzdem.

ifa: Wenn selbst Ausstellungseröffnungen ohne Exponate funktionieren können, dann weiß man wohl, man ist mit allen Kunstwassern gewaschen. Was wünschen Sie den Galerien und Ihrer Nachfolge in Zukunft?

Lenz: Ich wünsche mir, dass die ifa-Galerie Stuttgart noch stärker zu einer Plattform nicht nur der Erfahrung und Bildung, sondern auch der Begegnung und des Austausches wird, zu einem offenen und interessanten Ort für Besucherinnen und Besucher aller Altersstufen, aller Bildungsschichten und aller Communitys. Ich bin davon überzeugt, dass es für uns immer wichtiger wird, die unterschiedlichsten Communitys zu interessieren, zu binden und in einen Diskurs zu bringen. Dafür wünsche ich der Galerie in Zukunft personelle Verstärkung, insbesondere im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und kulturelle Bildung, sodass mehr Angebote gemacht und mehr Ansprache geleistet werden können. Und dann wünsche ich ein mit Sicherheit ganz anderes, zeitgemäßes und weiterhin international ausgerichtetes und spannendes Programm für die Zukunft.

ifa: Frau Lenz, mit was für einem Gefühl nehmen Sie jetzt Abschied?

Lenz: Ich gehe mit einem richtig guten Gefühl. Ich werde mich weiterhin im Bereich Kultur und Architektur bewegen, aber frei aktiv sein. So sehr ich dem ifa verbunden war und so sehr das immer mein Traumjob war und ist, merke ich, dass es für mich nach 30 Jahren an der Zeit ist, etwas Neues zu tun. Und für die Galerien ist es an der Zeit, dass jemand Neues denkt und konzipiert. Und es ist mir ein Anliegen, meinen Kolleginnen und Kollegen zu danken, die über die Jahre hinweg ungemein engagiert und kreativ mit mir zusammen all die vielen Ausstellungen und Veranstaltungen umgesetzt haben; ohne ein so wunderbares Team wäre es kein Traumjob gewesen!

ifa: Ich wünsche Ihnen nur das Beste für danach. Herzlichen Dank für das Interview, Frau Lenz.

Leiterin der ifa-Galerien Iris Lenz im Gespräch
Iris Lenz, Leiterin der ifa-Galerien, © die arge lola