Eröffnung der Tourneeausstellung "Fragile" von Wolfgang Tillmans in Lagos: in einem hellen Raum stehen Menschen verteilt und blicken auf Tische vor sich. Die Menschen sind schwarz. Auf den Tischen liegen verschiedene Objekte aus der Fotografie-Ausstellung von Wolfgang Tillmans, man erkennt nicht genau was. An der Wand ist eine große Fotografie einer blauen Welle. © Goethe-Institut Nigeria

Was bedeutet Außenkulturpolitik? Noch mehr Antworten (2)

Bedeutet "Außenkulturpolitik" automatisch Kultur-Export und Kultur-Kolonialismus? In diesem Artikel erklärt Joachim Staron die Entstehung der Außenkulturpolitik und geht auf die wichtigsten Probleme ein, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen. Außerdem wirft er einen Blick auf die zukünftige Entwicklung der Außenkulturpolitik.

"Letztlich geht es um eine Instrumentalisierung der Kultur zum Zwecke ihres Exports"

Anfänglich ging es in der Tat um nichts anderes. Als Länder wie Großbritannien und Frankreich im 19. Jahrhundert Kultur zum Instrument der Außenpolitik machten, war ihr wichtigstes Ziel, "vor allem in den Kolonien ihre Vormachtstellung abzufedern und die Überlegenheit ihrer eigenen Kultur zu vermitteln", wie der Außenkulturexperte Kurt-Jürgen Maaß es nennt. Auch Deutschland startete das Unternehmen AKP nach der Jahrhundertwende in einem politischen Klima, das stark von Nationalismus und Sendungsbewusstsein geprägt war.

Nach 1945 wurde die Auswärtige Kulturpolitik in der Bundesrepublik neu und in bewusster Abgrenzung zum "Dritten Reich" konzipiert. Dem staatlich gesteuerten Missbrauch von Kultur und Bildung durch die Nationalsozialisten setzte man Vielfalt und Pluralismus entgegen. Auslandskulturarbeit sollte fortan nicht direkt von der Regierung betrieben werden, sondern von staatlich finanzierten, aber institutionell unabhängigen Einrichtungen, den sogenannten Mittlerorganisationen.

Mittlerorganisationen entstehen nach dem zweiten Weltkrieg

Galt es zunächst, verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen, so erlangte im Zuge des Kalten Krieges der Wettbewerbsgedanke die Oberhand: Man wollte seine Überlegenheit in Sachen Kultur und Bildung gegenüber dem Klassenfeind aus der DDR demonstrieren.

Deutlich an Schwung gewann die Debatte ab den 1970er Jahren. Im Zuge eines erweiterten Kulturbegriffs und der Forderungen nach allgemeiner gesellschaftlicher Teilhabe an Kunst und Kultur erfuhr die Außenkulturpolitik der Bundesrepublik eine konzeptionelle Runderneuerung. Zum Export deutscher Hochkultur gesellte sich der zivilgesellschaftliche Austausch "auf Augenhöhe" über politische, soziale und weltanschauliche Fragen.

Breites Themenspektrum bildet sich heraus

Joschka Fischer brachte das später als Außenminister auf den Begriff der "Zweibahnstraße", und in der unter seiner Ägide entwickelten "Konzeption 2000" wurde das Aufgabenfeld der Auslandskulturarbeit um Themen wie Friedenssicherung und Konfliktlösung erweitert.

Heute umfassen Deutschlands kulturelle Auslandsaktivitäten ein ausgesprochen breites Spektrum: von Sprachkursen und Kunstausstellungen über Dialog- und Austauschprogramme sowie Medienbeiträge bis hin zur Krisenprävention, zur Entwicklungszusammenarbeit, zur humanitären Hilfe und zu Initiativen für politisch verfolgte Künstlerinnen und Künstler.

Ist diese große Bandbreite ein Trumpf, oder sollte man sich wieder auf seine Kernkompetenzen besinnen? Geht es primär um die Vermittlung eines attraktiven Deutschland-Bildes oder um kulturellen Austausch und Dialog? Ist Kultur ein außenpolitisches Instrument wie viele andere, oder bedarf sie eines besonderen Schutzes?

Verschiedene Außenminister:innen setzen eigene Schwerpunkte

Wie die Antworten darauf lauten, das hat mit der politischen Couleur der jeweiligen Regierung zu tun, mit den Zeitumständen und mit den Handelnden selbst. So stand unter dem liberalen Außenminister Guido Westerwelle die "Türöffner"-Funktion der Außenkulturpolitik für wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt, während Frank-Walter Steinmeier konzeptionell wieder an die Ideen Joschka Fischers anknüpfte.

Allerdings räumte der Sozialdemokrat der Kulturpolitik insgesamt einen weit höheren Stellenwert ein als der Grüne. "Kultur galt ihm nicht viel", hat Rüdiger Schaper einmal die Amtszeit Fischers im Tagesspiegel zusammengefasst.

Heute sieht sich Joschka Fischers Parteifreundin Annalena Baerbock vor die Aufgabe gestellt, eine Friedenspolitik in unfriedlichen Zeiten zu formulieren. "Unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik", erklärte sie Anfang des Jahres, "findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern auch sie steht vor den globalen Herausforderungen eines Systemwettbewerbs zwischen Autokratien und Demokratien."

"Der Dialog auf Augenhöhe ist ein frommer Wunsch"

Das sollte er aber nicht bleiben. Natürlich stößt ein gleichberechtigter Dialog zwischen materiell und kulturell sehr unterschiedlichen Partnern immer wieder an seine Grenzen. Die "Zweibahnstraße des öffentlich geförderten Kulturaustausches mit der Welt" hatte laut Goethe-Generalsekretär Johannes Ebert nach außen stets "den Anspruch, Autobahn zu sein", in die Gegenrichtung habe sie sich "immerhin zu einer Landstraße" entwickelt. "Was bedeutet denn Augenhöhe jetzt in Afghanistan, in Ägypten, in Mexiko?", fragt der ehemalige Präsident der Hertie School in Berlin Helmut K. Anheier rhetorisch: In einem dialogischen Kulturverständnis komme man über diese Machtunterschiede doch gar nicht hinweg.

Glaubwürdigkeit schaffen ist eine Herausforderung

So richtig der Hinweis auf strukturelle Hindernisse ist – etliche Probleme im Kulturdialog sind hausgemachter Natur. Wie etwa soll das notwendige Vertrauen entstehen, wenn die Menschen im Globalen Süden immer wieder Anlass haben, an der Glaubwürdigkeit ihrer Partner im Norden zu zweifeln? Als Korrektiv für eine Politik, die es mit den Werten nicht so genau nimmt, ist die Außenkulturarbeit überfordert.

Die USA, lange der Inbegriff einer Soft-Power-Nation, mussten nach dem Desaster im Irak vor 20 Jahren feststellen, dass auch die beste Kulturdiplomatie "kein Blei in Gold verwandeln" könne, wie der amerikanische Journalist Ramesh Ponnuru damals notierte.

Wenn politische Maßnahmen und Bekenntnisse auseinanderklaffen

Und Europa? Im Globalen Süden nimmt man irritiert zur Kenntnis, dass dem Norden ein Mangel an Werten bei seinen Partnern durchaus tolerabel erscheint, solange er einhergeht mit einem Überfluss an Bodenschätzen. Und man erinnert sich noch gut daran, wie die Industriestaaten während der Corona-Pandemie lange Zeit die Impfstoffe horteten, statt sie solidarisch mit den Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu teilen.

Ähnliches gilt für eine europäische Abschottungspolitik, die alles andere signalisiert als den Wunsch zum Dialog. Die Erfolge nationalistischer und rassistischer Bewegungen in Europa tun ein Übriges, um die Glaubwürdigkeit von europäischen Diskursen zu Demokratie und Menschenrechten zu schwächen.

Haupthindernis: Orientierung an kurzfristigen Projekten

Wie man dem Anspruch auf partnerschaftliche Zusammenarbeit zumindest in der konkreten Projektarbeit näherkommen kann, hat die Kulturwissenschaftlerin Annika Hampel in Indien untersucht. Ihr Befund: Das Haupthindernis für eine Kooperation auf Augenhöhe liegt hier in der Kurzfristigkeit.

Zwischen Ankunft und Abreise der Projektverantwortlichen aus Deutschland bleibe kaum Zeit, einander kennenzulernen, geschweige denn sich wirklich auszutauschen. Wenn dann eine Künstlerin wie Pina Bausch mit ihrem Tanztheater für einen einzigen Auftritt eingeflogen werde, komme das dem Kulturexport alter Prägung schon wieder ziemlich nahe.

Und so lautet eine der zentralen Botschaften Hampels: Weg von der kurzfristigen Projektorientierung, hin zur Prozessfinanzierung. Notfalls auch um den Preis, sich auf weniger Projekte beschränken zu müssen.

Weg vom Einzelprojekt – hin zum Entwicklungsprozess

Dass sich das Prinzip der Einbahnstraße auch rein ökonomisch als Sackgasse erweisen kann, erleben derzeit die Chinesen im Globalen Süden. Die Projekte ihrer Seidenstraßen-Initiative werden überwiegend von chinesischen Firmen und Arbeitern aufgebaut. Transparente Ausschreibungen gibt es nicht, ein Know-how-Transfer findet kaum statt.

Lange ging das gut, doch mittlerweile wächst die Unzufriedenheit, vor allem in Afrika und Lateinamerika. Und das hat neben Umweltzerstörung, Korruption und hohen Finanzierungszinsen viel mit der mangelnden Einbindung der Zivilgesellschaften zu tun.

Der Schlüssel zum Erfolg: dauerhaft Vertrauen stiften

Wer davon profitieren könnte, wenn Chinas Seidenstraße schwächelt? "Die Europäer", heißt es an dieser Stelle oft (zumeist aus Europa), "die Europäer! Mit ihrer Wirtschaftskraft, ihrer Soft Power und ihrem Markenzeichen, dem zivilgesellschaftlichen Austausch!"

Doch vor Selbstzufriedenheit sei gewarnt. Eine Soft Power, der es nicht gelingt, dauerhaft Vertrauen zu stiften, taugt auch ansonsten nicht viel: Diese Regel gilt nicht exklusiv für Autokratien. An einem entschlossenen Ausbau der Zweibahnstraße Richtung Süden wird auch für Europa kein Weg vorbeiführen.

Weitere Fragen gibt es im ersten Teil des Artikels:

Was bedeutet Auswärtige Kulturpolitik? Antworten auf die wichtigsten Fragen (1)

Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht am 28.08.2023 unter dem Titel „Gegen den Strich: Auswärtige Kulturpolitik“ auf Internationale Politik und in der Zeitschrift "Internationale Politik" Ausgabe 5, September/Oktober 2023, S. 100-105.

Über den Autor
Ein Mann mit hellbrauchnen Haaren und leicht graumeliertem kurzem Bart. Er trägt ein dunkel-blaues Jackett und ein weißes Hemd. Seine Arme sind verschränkt, er lächelt in die Kamera.
Dr. Joachim Staron

Joachim Staron ist Redakteur der "Internationalen Politik". Zuvor war er u. a. Pressesprecher des ifa – Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, sowie Redakteur für die Zeitschrift Kulturaustausch.