Installationsansicht Mapping the Collection im Museum Ludwig in Köln 2020

Ein durchlässiger Ort für Zusammenkunft und Austausch

Für Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig in Köln, sind Museen sowohl gesellschaftlich geprägt als auch prägend für die Gesellschaft: Sie agieren nicht im luftleeren Raum, sondern sind zeitbedingt und wandelbar.

ifa: Wie geht es Ihrer Institution seit und in der Krise? Wie verändert die aktuelle Situation die Arbeit Ihres Museums und seine Konzeption?

Yilmaz Dziewior: Die aktuelle Situation durch COVID-19 hat gravierenden Einfluss auf den Besuch und die Arbeit im Museum Ludwig: das Publikum ebenso wie das Team müssen Masken tragen und Abstand halten. Unser Ausstellungsprogramm und der Leihverkehr bleiben von den Einschränkungen nicht unberührt: Kurierfahrten sind momentan nicht möglich, und auch in besonders publikumswirksame Ausstellungen können wir nur eine maximale Anzahl von Besucherinnen und Besucher einlassen.

ifa: Wie sprechen Sie unter den veränderten Bedingungen Ihr Publikum an? Welches Publikum erwarten Sie und was erwarten Sie von Ihrem Publikum?

Dziewior: Unter den veränderten Bedingungen hat die Bedeutung der digitalen Kommunikation besonders zugenommen. Das Museum Ludwig hat diesen Bereich in den vergangenen Monaten umfassend ausgebaut. Eröffnungen können zurzeit nicht im gewohnten Rahmen stattfinden; stattdessen werden Aufzeichnungen live auf den sozialen Medien übertragen und Videos auf der Website eingespeist. Besonders Formate wie den "Langen Donnerstag" zeichnen sich für gewöhnlich durch eine besonders aktive Teilnahme zahlreicher, vor allem junger Besucherinnen und Besucher aus. Für diese Workshops, Konzerte und Diskussionen haben wir in den letzten Monaten innovative Alternativen online oder in kleineren Gruppen mit entsprechendem Abstand im Museum realisiert. Erfreulicherweise wurden weder unsere Erwartungen an die Solidarität und Rücksicht der Besucherinnen und Besucher enttäuscht, noch die Hoffnung auf anhaltendes Interesse an der Kunst und unserem Programm. Ganz im Gegenteil haben wir in den Vermittlungskanälen der sozialen Medien mehrere Tausend neue Follower hinzugewonnen.

ifa: Was betrachten Sie als die vorrangigen gesellschaftlichen Aufgaben Ihres Museums?

Dziewior: Nach wie vor ist das Museum Ludwig seinen Kernaufgaben Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln verbunden. Darüber hinaus entwickelt sich unser Museum mehr und mehr zu einem durchlässigen Ort für Zusammenkunft und Austausch. Es versteht sich somit sowohl gesellschaftlich geprägt als auch prägend.

ifa: In welcher Weise sollten Museen Geschichten, Bilder und Erzählmuster vermitteln und reflektieren?

Dziewior: Es gibt keine vorgegebene Art und Weise wie Museen Geschichten, Bilder und Erzählmuster vermitteln und reflektieren. Sie agieren nicht im luftleeren Raum, sondern immer zeitbedingt und sie sind Spiegel einer Gesellschaft, die sich fortwährend im Wandel befindet. Wir verstehen es daher als unsere Aufgabe, Geschichten und Bilder aus der gegenwärtigen Perspektive und gleichzeitig mit Blick auf eine andere mögliche Zukunft zu betrachten. Erzählmuster, Ästhetiken und Blickregime verhandeln wir entsprechend unter fluiden sozialen Bedingungen immer wieder neu.

ifa: Welche Konzepte verfolgen Sie hinsichtlich der Zugänglichkeit und Partizipation zu Beständen, zu Wissen und zu Lesarten?

Dziewior: Zugänglichkeit und Partizipation sind wichtige Prämissen der Vermittlungsarbeit. Es ist uns ein Anliegen, Inhalte möglichst niedrigschwellig zugänglich zu machen, ohne die Freiheiten der Rezeption durch simplifizierende wie dualistische Kategorisierungen zu limitieren. In der jüngsten Vergangenheit haben wir unser Vermittlungsangebot erweitert, unter anderem durch Führungen für Blinde und Menschen mit Sehverlust oder in den neben Deutsch am meisten gesprochenen Landessprachen Türkisch und Kurdisch. Ein zentrales Anliegen des Museum Ludwig sind "Outreach" und die Zusammenarbeit mit lokalen Communities, Kollektiven und Initiativen. Gemeinsam haben wir bereits diverse Workshops, Vorträge und Diskussionsrunden realisiert.

ifa: Verstehen Sie Ihr Museum dabei als Ort des politischen Diskurses?

Dziewior: Kunst war noch nie unpolitisch, daher ist auch ein Museum ein Ort des politischen Diskurses. Dieser Diskurs ist sowohl mir als auch dem Team besonders wichtig.

ifa: Wie können Museen heute international, post-nationalstaatlich und verantwortungsvoll wirken?

Dziewior: Dies ist eine suggestive Frage! Ein Museum agiert nicht nur international, sondern ist immer im spezifischen Kontext einer lokalen Realität verankert. Aus meiner Sicht ist es daher wichtig, dass das Museum Ludwig ein städtisches Museum ist und sich bewusst im Austausch mit seiner unmittelbaren Umgebung und der Stadtgesellschaft befindet. Doch seine Sammlung und unsere gegenwärtige Ankaufspolitik sind weder rein lokal, noch "nationalstaatlich" oder eurozentrisch geprägt. Die Sammlung mit Schwerpunkten wie US-amerikanischer Pop Art, Klassischer Moderne und Expressionismus, Russischer Avantgarde, Picasso oder die fotografische Sammlung und Gegenwartkunst aus dem Rheinland haben wir vor allem in den letzten Jahren verstärkt um Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus dem afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Raum erweitert. Auch über sein Ausstellungsprogramm versteht sich das Museum Ludwig in der Verantwortung, sowohl global als auch lokal zu wirken.


Dr. Yilmaz Dziewior ist Direktor des Museum Ludwig, Köln

MuseumsNow

Unter dem Titel "MuseumsNow" befragte das ifa Akteurinnen und Akteure internationaler Museen nach ihren aktuellen Erfahrungen, Herausforderungen und Visionen – auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie. Die Interviews und Berichte geben einen Einblick in gegenwärtige museale Praktiken und zivilgesellschaftliches Handeln von Museen weltweit.

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