Kunstfreiheit und Mobilität: Lernen aus der Pandemie

In der Online-Veranstaltung der Martin Roth-Initiative diskutierten Kunstschaffende und Fachleute Erfahrungen, Bewältigungsstrategien und Lösungsansätze

Stuttgart/Berlin, 10.09.2021 – Die COVID-19-Pandemie hat den Kreativ- und Kultursektor hart getroffen und schränkt weltweit die Mobilität und Möglichkeiten vieler Künstler:innen ein. Vor allem unabhängige und kritische Kunst- und Kulturschaffende, die in ihren Heimatländern verfolgt, zensiert oder bedroht werden, stellt dies vor zusätzliche Herausforderungen.
 
Am 9. September 2021 lud die Martin Roth-Initiative zu einer digitalen Veranstaltung ein, um über Kunstfreiheit und Mobilität in pandemischen Zeiten zu diskutieren: Was hat uns die Pandemie über die Unabdingbarkeit von künstlerischer Freiheit, von konkreter Unterstützung für Kulturschaffende sowie von internationalem Austausch gezeigt? Welche Lerneffekte und Best Practices gibt es aus den letzten anderthalb Jahren für die zukünftige Arbeit von Schutzprogrammen? Welche neuen Formate und kreativen Bewältigungsstrategien wurden entwickelt, erprobt und können für die Zukunft beibehalten werden?
 
Die Online-Veranstaltung "Artistic Freedom & Mobility: Learnings from the Pandemic" führte ca. 70 Teilnehmende aus 30 Ländern zusammen. Dazu gehörten Vertreter:innen aus Kunst und Kultur, Aktivist:innen, Forschende sowie Fachleute, die in Schutz- und Unterstützungsprogrammen für Kunstschaffende arbeiten.
 
In ihrem Grußwort verwies Claudia Roth, Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestags, auf die Bedeutung von Kunst und Kultur für demokratische Gesellschaften:
"Kultur ist nicht bloß eine Ergänzung, sondern elementar notwendig für uns. Kultur ist kein Luxusgut, sondern essenziell für Menschen und für Demokratien. Kultur ist systemrelevant, weil sie relevant für Demokratien ist, und ein aktives kulturelles Leben ist die Basis von demokratischen Gesellschaften. Kunst und Kultur sind ein unabkömmlicher Bestandteil der DNA unserer freien und diversen Gesellschaft."
 
Im ersten Teil der Veranstaltung diskutierten drei internationale Podiumsgäste über die Herausforderungen und Möglichkeiten von internationalem Austausch, Mobilität und Schutzmechanismen während der COVID-19-Pandemie.
 
Die indische Hip-Hop-Künstlerin und ehemalige MRI-Stipendiatin Manmeet Kaur teilte ihre Erfahrungen als Artist-in-Residence in Berlin in Zeiten von Corona und Lockdowns:
"Als Sound-Artist habe ich beschlossen, mich dieser Herausforderung zu stellen und angefangen, meine Beats selbst zu kreieren, was meine Kunst bereichert hat. Ich habe mir die Zeit genommen und nicht an den Druck gedacht, den ich sonst fühle, nur um meine Miete zu bezahlen. Es war eine Zeit des Improvisierens und Experimentierens."
 
Der syrische Künstler, Aktivist und Leiter des Berliner Kulturvereins coculture e.V., Khaled Barakeh, betonte:
"Es ging in unseren Projekten während der Pandemie nicht mehr primär um das Thema künstlerische Produktion, sondern um den künstlerischen Prozess und die Menschen dahinter. […] Es ist wichtig, alle Aspekte der Lebensumstände von internationalen Kunstschaffenden zu berücksichtigen. Du kannst keine virtuellen Treffen garantieren, wenn beispielsweise im Libanon Elektrizität oder Internet fehlen. Das wirft die Frage auf, wie wir auch zukünftig bedarfsgerecht Künstler:innen in ihren Ländern unterstützen können. Darauf müssen wir Antworten finden."
 
Alle drei Podiumsgäste verdeutlichten in ihren Beiträgen, wie wichtig zwischenmenschliche Begegnung für Kreativität und künstlerisches Schaffen seien. António Pedro Mendes, Kurator beim Berliner Kunstraum SAVVY Contemporary, sieht in der zunehmenden Digitalisierung allerdings auch Chancen für die Zukunft:
"Einer der wenigen positiven Folgen der Covid-Zeit ist, dass die Menschen Wege gefunden haben, den digitalen Raum auf neue Weise zu nutzten, um zusammenzukommen. Dies merkten wir vor allem daran, wie Kultur- und Förderinstitutionen die Art ihrer Kommunikation nach innen und nach außen neugestaltet haben, weil wir alle das gleiche Bedürfnis verspürten: zwischenmenschliche Verbindungen."
 
Im zweiten Teil des Events bot ein Praxis-Workshop den Teilnehmenden Gelegenheit, die Zwischenergebnisse eines Kurzforschungsprojekts zu diskutieren, das von der Martin Roth-Initiative in Auftrag gegeben wurde. Das Projekt widmet sich den Erfahrungen, Bewältigungsstrategien und kreativen Lösungsansätzen von Kunst- und Kulturschaffenden insbesondere aus der Türkei und wird von der türkischen Forscherin Pelin Çakır durchgeführt. Als weitere Expertin trug die Soziologin und Kuratorin Dr. Ezgi Bakçay zum Workshop bei, die mit "Karşı Sanat" einen der wenigen unabhängigen Kunsträume in Istanbul leitet. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts werden Anfang 2022 in einer englischsprachigen Studie veröffentlicht.
 
Das ausführliche Programm der Veranstaltung finden Sie hier: https://martin-roth-initiative.de/de/publikationenevents. Das Event fand auf Englisch statt.

Über die Martin Roth-Initiative
Die Martin Roth-Initiative ermöglicht seit ihrer Gründung 2018 gefährdeten Kunst- und Kulturschaffenden, die sich in ihrem Heimatland für die Freiheit der Kunst, für Demokratie und Menschenrechte engagieren, temporäre Schutzaufenthalte in Deutschland oder an sicheren Orten in ihrer Heimatregion. Um das Wissen über Schutzprogramme, ihre Herausforderungen und bewährte Praktiken zu fördern und bestehende Programme zu verbessern, beauftragt die Martin Roth-Initiative regelmäßig Studien im Rahmen ihres begleitenden Forschungsprogramms. Die Ergebnisse werden in verschiedenen Formaten veröffentlicht und auf Veranstaltungen diskutiert, um den Austausch zwischen Forschenden und der globalen Praxisgemeinschaft anzuregen. Die MRI ist ein Gemeinschaftsprojekt des ifa (Instituts für Auslandsbeziehungen) und des Goethe-Instituts. Sie wird gefördert vom Auswärtigen Amt. http://www.martin-roth-initiative.de

Über das ifa
Das ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) ist Deutschlands älteste Mittlerorganisation. Es engagiert sich weltweit für ein friedliches und bereicherndes Zusammenleben von Menschen und Kulturen. Das ifa fördert den Kunst- und Kulturaustausch in Ausstellungs-, Dialog- und Konferenzprogrammen und agiert als Kompetenzzentrum der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Es ist weltweit vernetzt und setzt auf langfristige, partnerschaftliche Zusammenarbeit. Das ifa wird gefördert vom Auswärtigen Amt, dem Land Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart. www.ifa.de

Über das Goethe-Institut
Das Goethe-Institut ist das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Mit 159 Instituten in 98 Ländern fördert es die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland, pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit und vermittelt ein aktuelles Deutschlandbild. Durch Kooperationen mit Partnereinrichtungen an zahlreichen weiteren Orten verfügt das Goethe-Institut insgesamt über rund 1.000 Anlaufstellen weltweit. https://www.goethe.de/

Pressekontakte:
ifa (Institut für Auslandsbeziehungen), Guido Jansen-Recken, Referent Kommunikation, Tel. 030.28449.119, presse(at)ifa.de
 
Martin Roth-Initiative (MRI), Dr. Lisa Bogerts, Wissenschaftliche Koordinatorin MRI-Forschungsprogramm, Tel. 0173.274.5988, lb(at)martin-roth-initiative.de