Manchmal scheint es, Nirmala KC sei kaum zu bremsen. Voller Inbrunst erzählt sie von nepalesischen Frauen, die nicht arbeiten dürfen. Kasten-Denken, das bis heute fortwährt. Mal schwankt sie ins Wissenschaftliche, dann geht es um soziales Unternehmertum, verantwortungsvolles Regieren und Korruptionsbekämpfung. Schließlich hat Nirmala KC über NGOs promoviert. Allerdings wandelt sie stets zwischen den Welten, beherrscht Forschung genauso wie die Praxis. Mit der Organisation Pro Public arbeitet sie mit den Menschen im Außenbezirk Mahalaxmi der Hauptstadt Kathmandu zusammen, sie reist durch das ganze Land, hört zu.
Pro Public wurde 1991 gegründet und setzt sich für Bürgerrechte in Nepal ein. Einst begann die NGO mit Protest gegen umweltverschmutzenden Minenabbau. Klimaschutz bleibt ein Schwerpunkt bis heute, aber Pro Public schult auch Ex-Soldaten zu Friedensstiftern oder setzt sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit ein. Aktuell hat Pro Public 60 Prozent Frauen im Vorstand, den eine weibliche Vorsitzende leitet.
„Wir wollen Menschen jedweder Herkunft zusammenbringen“, sagt Nirmala KC. Pro Public beruft sich dabei auf die nepalesische Chautari-Tradition. Dieser zufolge erhalten Geschichtenerzähler einen Blumenstrauß, Zuhörende einen Kranz voller Gold. Auf diese Weise gelangten Geschichten in den Himmel und wieder zur Erde. Wer sie weitererzähle, verbreite Weisheit.
Weisheit ist ein tragendes Element der Theaterstücke von Pro Public. Bei diesen sogenannten Playback-Theatern achtet der Erzähler darauf, besonders marginalisierte Gruppen aus früheren Kasten zu berücksichtigen. Sie sind eingeladen, ihre Geschichten mit den anderen zu teilen. Das trägt dazu bei, den zehnjährigen Bürgerkrieg aufzuarbeiten. Ohne Dialog und Austausch lassen sich die Gräben in der nepalesischen Gesellschaft nicht überwinden. Somit schafft das Theater einen sicheren Hafen für unterdrückte Stimmen.
Schon seit 1963 stellt das nepalesische Zivilrecht alle gleich. In der Praxis ist es bis heute nicht umgesetzt. Nirmala KC beschreibt auch, wie sich niedriggestellte Kasten wie Kami und Damai kaum etwas zutrauen. Einst lud sie eine niedriggestellte Köchin aus der Schuhmacher-Gesellschaft zum Essen ein. „Sie hat sich kaum getraut und war sehr zögerlich“, sagt Nirmala KC. Am Ende hätten sie sich gut verstanden. Die Köchin habe nichts Unrechtes getan. Vielmehr prägt sie bis heute ein Kastenbewusstsein, das sich auch als Klassenbewusstsein verstehen lässt.
In ihrer Kindheit durften Nachbarkinder nicht zur Schule gehen
Das ist nur eines vieler Probleme, die Nirmala KC bewegen. Als 11-jähriges Mädchen verstand sie nicht, wieso die meisten Nachbarkinder nicht wie sie in die Schule gehen durften. Sie gehörten niedrigen Kasten an. Also sammelte sie mit anderen Mitschriften und Bücher und verteilte diese an die Kinder. „Da kam schon eine kleine Bücherei zusammen“, sagt Nirmala KC. Noch immer sind 42,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Analphabeten.
Aus dem Hobby wurde ein Beruf. Nirmala KC studierte mit 17 in Indien, nahm an einem US-Programm teil und studierte in Norwegen. 2012 promovierte sie über die Rechenschaftspflicht von NGOs. Bis heute lebt sie mit ihrer Familie in der Hauptstadt Kathmandu. Sie hat ihr Leben den Bürgern in Nepal gewidmet. Jedes Wochenende laden sie Freunde und Bekannte zum Essen ein, ständig ist sie unterwegs. Dafür hat Nirmala KC auch persönliche Opfer gebracht. Verheiratet ist sie vor allem mit ihrem Beruf, Kinder hat sie nicht. Eine Besonderheit in Nepal.
Viele rümpfen die Nase, wenn eine Frau in meinem Alter unverheiratet ist
Bis heute herrscht ein klassisches Rollenbild. „Viele rümpfen die Nase, wenn eine Frau in meinem Alter unverheiratet ist“, sagt Nirmala KC. In ihrem Fall sei das anders, da sie für sich selbst sorgen könne. Den meisten Frauen ergeht das anders. Zwangsverheiratung geschehen noch immer, viele sind von ihren Ehemännern abhängig. Auch deswegen fördert Pro Public Kleinunternehmerinnen. Auf diese Weise können sie lokal Geschäfte aufbauen und Gemüse oder selbstgenähte Kleidung verkaufen.
„Wir haben 51 Prozent Frauen in Nepal, aber nur jede Zehnte ist etwa in den Medien oder öffentlichen Ämtern tätig. Das muss sich ändern“, sagt Nirmala KC. In Niedriglohnjobs dominieren bis heute Frauen. Eigenes Einkommen für Frauen erachten Traditionelle in Nepal als unwürdig. Bewusst genießen daher nur die Söhne höhere Bildung.
Auch diese Ungerechtigkeit spielt eine Rolle in den Theaterstücken von Pro Public. Damit auf Nirmala KC viele weitere engagierte Frauen folgen, die Nepal voranbringen. Ein besseres Beispiel könnte es kaum geben.
Über den Autor
Nathanael Häfner arbeitet als Finanzredakteur bei Zeit Online. Er hat Sozialwissenschaften studiert, die Kölner Journalistenschule besucht und frei u.a. für die Süddeutsche Zeitung, taz und Spiegel Online geschrieben.
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