Die Jugendlichen der Offenen Zone bemalten im Jahr 2016 gemeinsam die Treppen eines beliebten Spazierweges in Sombor.

Vier, die sich Verständigung auf die Fahne geschrieben haben

Angehörige deutscher Minderheiten sind in zwei Kulturen zu Hause – der deutschen und der des Landes, in dem sie leben. Das bringt Chancen mit sich, auf Austausch, auf Vermittlung und Verständigung. Eine wichtige Rolle spielen dabei Minderheiten-Organisationen wie Vereine, Kulturzentren und Zeitungen, die Brücken zur Mehrheitsgesellschaft schlagen und ein gutes Zusammenleben fördern. Deshalb unterstützt das ifa mit seinem Entsendeprogramm bereits seit einem Vierteljahrhundert Organisationen, die sich genau das auf die Fahne geschrieben haben. Zum Anlass des 25-jährigen Jubiläums des Programms geben vier der Organisationen einen Einblick in ihre Welt.

Deutscher Humanitärer Verein "St. Gerhard" in Sombor, Serbien

Aktiv im Dreiländereck

Im Dreiländereck zwischen Ungarn, Kroatien und Serbien liegt in der Vielvölkerregion Vojvodina die serbische Gemeinde Sombor. Unter den etwa 90.000 Einwohnern der Stadt und ihrer Umgebung leben 22 Minderheiten. Dazu zählen auch die Deutschen, deren Deutscher Humanitärer Verein "St. Gerhard"  (in der Landessprache: Humanitarno udruženje Nemaca "Gerhard") zu einem multikulturellen Miteinander beiträgt.

Bei der letzten Volkszählung 2011 bekannten sich in Serbien über 4.000 Personen zur deutschen Minderheit. Mittlerweile sind etwa 800 von ihnen Mitglied im Verein St. Gerhard, der 1999 zunächst als informelle Gruppe gegründet wurde und seit 2003 offiziell eingetragen ist. Nur zwei Jahre später begann die Kooperation mit dem ifa.

Nachhaltigkeit ist Priorität

Seit 2005 hat sich viel getan im Verein. Anfangs arbeiteten die ifa-Entsandten mit einer Praktikantin oder einem Praktikanten zusammen. Im Jahr 2009 bezog St. Gerhard eigene Räume, in denen derzeit zwei feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zwei Praktikantinnen und Praktikanten und eine ifa-Kulturmanagerin arbeiten.

Ohne ehrenamtliches Engagement wäre in Sombor auch heute eine nachhaltige Kulturarbeit kaum möglich. Sara Delinger, von 2014 bis 2019 ifa-Kulturmanagerin bei St. Gerhard, professionalisierte das Ehrenamtsmanagement, so dass heute eine feste Gruppe aus Freiwilligen den Verein bei Veranstaltungen und Projekten unterstützt. Seit 2019 arbeitet Laura Braun als ifa-Entsandte an der Stärkung dieser Strukturen, der Erweiterung des Bildungsangebots und der Organisation des hauseigenen Jugendtreffs "Offene Zone" (Otvorena Zona).

Als einer der aktivsten Vereine der Vojvodina ist St. Gerhard mit Jugendarbeit, Sprachkursen und Geschichtsvermittlung heute ein Knotenpunkt zivilgesellschaftlicher Vernetzung. Gabriela Bogišić blickt als Geschäftsführerin auf die vielen positiven Veränderungen der letzten Jahre zurück: "Vor 25 Jahren gab es in Serbien nur einen Verein der deutschen Minderheit, heute gibt es 18. Es gab keine Gedenkstätten, heute gibt es 15. Zudem gibt es heute sowohl Radio- als auch Fernsehsendungen in deutscher Sprache."

Aktive Mitgestaltung

Gerade wird in Sombor ein Museum der Donauschwaben eröffnet, das die Aufarbeitung der donauschwäbischen Geschichte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Außerdem hat die deutsche Minderheit in Serbien mit dem Deutschen Nationalrat seit 2008 einen legitimen Vertreter. Obwohl sie zu den kleineren Volksgruppen gehört und unter finanziellen Kürzungen leidet, bringt sich die deutsche Minderheit in Serbien äußerst aktiv ein.

Die interaktive Stadtführung "Ganz Ohr", die 2019 in einem generationenübergreifenden Workshop in Zusammenarbeit mit dem ifa entwickelt wurde, ist Gabriela Bogišićs aktuelles Highlight: "Dieses Projekt umfasst alle unsere Zielgruppen: die ältere Generation, die über Sehenswürdigkeiten und wichtige Orte der Donauschwaben berichtet– und Jugendliche, die die Materialien bearbeitet und als Audio Guide aufgenommen haben." Der audiovisuelle, deutschsprachige Stadtrundgang ist auf den Seiten des Vereins St. Gerhard verfügbar. 

Die Mitglieder des Vereins wollen vorwiegend mit kleineren Projekten unter anderem in der Bildung und Jugendarbeit eine große Bandbreite an Aktivitäten abdecken und sich an eine breite Zielgruppe richten. "Wir werden unter der Minderheit mehr geschätzt, wenn wir zu einer allgemeinen Stärkung der Gesellschaft beitragen," erklärt Gabriela Bogišić.

Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Oppeln, Polen 

Mehr als ein Sprachrohr 

Oppeln ist die Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft (polnischer Verwaltungsbezirk) in Oberschlesien und das größte Zentrum der deutschen Minderheit in Polen. Hier sitzt der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), der unter anderem die Zeitung Wochenblatt.pl herausgibt.

Das Wochenblatt wurde 1990 gegründet und richtet sich vor allem an deutschstämmige Leserinnen und Leser im ganzen Land, besonders in Schlesien. Die Redaktion berichtet wöchentlich über Themen, die die deutsche Minderheit interessieren. Besonders gerne werden Berichte zu zweisprachigen Ortsschildern, Veranstaltungen der Minderheit und multinationalen Wallfahrten gelesen. Alleinstellungsmerkmal des Wochenblatts ist die deutsch-polnische Zweisprachigkeit.

Fest im Team

Seit mehr als 18 Jahren nimmt die Redaktion am ifa-Entsendeprogramm teil. Die Entsandten sind in die Arbeitsabläufe des sechsköpfigen Teams um Chefredakteur Rudolf Urban integriert. Marie Baumgarten, aktuelle ifa-Redakteurin, kümmert sich beim Wochenblatt um die Regionenseite, auf der über die Aktivitäten der deutschen Minderheit aus allen Ecken Polens berichtet wird. Außerdem ist sie beim Radioprogramm "Schlesien aktuell" zu hören und arbeitet an Fernsehbeiträgen für das "Schlesien Journal" mit.

Zukunft im Blick

Das größte Projekt des Wochenblatts ist derzeit die Einrichtung einer Internetplattform, die alle Medien der deutschen Minderheit in Polen vereinen und diejenigen erreichen soll, die sich für die deutsche Minderheit und die deutsch-polnischen Beziehungen interessieren. "Damit soll die Zivilgesellschaft auf alle Medien zugreifen können, auch auf solche, die immer noch offline entstehen," erklärt Rudolf Urban. 

Seit den 90-er Jahren haben sich die deutsch-polnischen Beziehungen durch zahlreiche zwischenstaatliche Initiativen stark verbessert, dennoch bleibt noch viel Aufklärungsarbeit. Das Wochenblatt trägt in entscheidendem Maße dazu bei. "Die Zeitung begleitet die deutsche Minderheit und zeigt positive Beispiele des Zusammenlebens zwischen Minderheit und Mehrheit, aber auch Punkte, bei denen die Meinungen auseinandergehen," sagt Rudolf Urban.

"vitamin de" und das Deutsch-Russisches Haus in Omsk, Russische Föderation

Tradition und Sprachvermittlung

Im Süden Westsibiriens liegt nahe der kasachischen Grenze die Millionenstadt Omsk. Als achtgrößte Stadt Russlands ist sie das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des gleichnamigen Verwaltungsbezirks. Vierzig Kilometer entfernt befindet sich der 1992 gegründete Deutsche Nationalrajon Asowo. 

Die ersten russlanddeutschen Siedlerinnen und Siedler legten hier Ende des 19. Jahrhunderts Dörfer an, die bis heute existieren und die Basis dieses Nationalkreises bilden. Im Zuge der Öffnung der Sowjetunion kamen weitere deutschsprachige Einwohnerinnen und Einwohner aus anderen Regionen hinzu, die auf ein selbstbestimmtes Leben mit eigenen Traditionen hofften. In den gerade für Russland politisch und wirtschaftlich schwierigen 90-er Jahren nutzten jedoch viele von ihnen die Möglichkeit zur Emigration nach Deutschland.

"vitamin de" - Journal für junge Deutschlernerinnen und -lerner

Die verbliebenen deutschstämmigen Bewohnerinnen und Bewohner halten an ihrer Sprache fest, obwohl sie früher oft nur begrenzt weitergegeben werden konnte. Einige Lebensgeschichten dieser Sibiriendeutschen hat die frühere ifa-Redakteurin Magda Sturm in ihrem Blog gesammelt, der mittlerweile unter dem Titel "Russlanddeutsche" auch als ifa-Publikation erhältlich ist.

Seit 1992 erscheint im Nationalrajon "Ihre Zeitung", eine deutsch-russische Kreiszeitung, die von ifa-Entsandten von Omsk aus mitgestaltet wird. In der Redaktion der Deutschlernzeitschrift "vitamin de" arbeiten ifa-Entsandte seit 2003 mit. "Man lernt Deutschland durch die Entsandten immer wieder neu kennen", sagt Chefredakteur Robert Teschner. Das ursprünglich ehrenamtlich mit Schere und Kopierer von Sprachlehrerinnen und Sprachlehrern herausgegebene Journal ist seit seinem ersten Erscheinen 1999 zu einer weit über die Grenzen Russlands hinaus beliebten Ressource für Deutschlernende und -lehrende geworden.

Das Deutsch-Russische Haus

Seit 2016 besteht in Omsk das Kultur- und Geschäftszentrum "Deutsch-Russisches Haus" . "Dank der Eröffnung des Hauses können die Vertreterinnen und Vertreter unserer Minderheit ihre Muttersprache verbessern und ihre Sitten und Bräuche bewahren", sagt Lisa Graf, die für die Entwicklung und methodische Begleitung zuständig ist. Als erfahrene Sprachmittlerin arbeitete sie  von Anfang an mit den ifa-Entsandten und der Deutschlernzeitschrift vor Ort.

Insbesondere bei den mehrmals im Jahr stattfindenden Kultur- und Sprachprojekten kooperieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Deutsch-Russischen Hauses eng mit den ifa-Redakteurinnen und Redakteuren. Lisa Graf ist die Minderheitenschule, ein Intensivkurs zur deutschen Sprache, Kultur und Geschichte besonders wichtig. Der einwöchige Kurs findet zweimal im Jahr statt.


Im Rahmen des Jubiläumsjahr 2020 im Entsendeprogramm stellt sich wöchentlich eine geförderte Organisation auf Minderheiten_verbinden vor.

Rudolf Urban, Chefredakteur des Wochenblatt.pl, ist seit dem 29.05.2020 in einer neuen Folge des ifa-Podcast Die Kulturmittler zu hören.

Über das Entsendeprogramm

Das Entsendeprogramm bietet Arbeitsaufenthalte in Organisationen deutscher Minderheiten im östlichen Europa oder in einem Staat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Die Entsandten arbeiten als Kulturmanagerinnen und –manager oder Redakteurinnen und Redakteure in ausgewählten Projekten und unterstützen die Einrichtungen mit ihrem Knowhow.
Mehr erfahren