In ihrer Fotocollage "Point and Shot" zeigt die New Yorker Konzeptkünstlerin Donald Trump mit seinem berüchtigten Satz: „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde nicht einen Wähler verlieren – es ist unglaublich.“ Unterlegt ist das Bild des Präsidenten mit Daten und Namen von über 100 ermordeten People of Color, die selbst unbewaffnet waren, als sie erschossen wurden.

Populistische Emotionen

Populismus als emotionale Antwort auf die Rationalität des Liberalismus: Gefühle und Politik sind stets unausweichlich miteinander verbunden und man darf sich fragen, ob nicht der widerspenstige Glaube des Liberalismus daran, dass Politik und Gefühle getrennt bleiben sollten, seine Strategie wie auch seine Anziehungskraft taktisch geschwächt haben.

Der Populismus der Gegenwart hat drei wesentliche Merkmale: Das erste ist ein Angriff auf die grundsätzliche Auffassung von Wahrheit, Tatsachen und Fachkenntnis. Populismus ist eine Form epistemischer Demokratie nach dem Motto: Ihr wisst es nicht besser als wir. Das zweite Charakteristikum des Populismus ist sein Angriff auf das Establishment und auf die Eliten. Chavez, Trump, Bolsonaro, Salvini oder Le Pen stellen Politik als bis ins Mark verkommen dar: unrechtmäßige Eliten hinterziehen oder missbrauchen Steuern und öffentliche Gelder oder geben sie an die falschen Leute und bevorzugen globale Eliten, europäische Bürokratien, usw. Erstaunlicherweise stammen viele dieser Slogans von Leuten, die unvorstellbar reich sind und viele Privilegien haben, wie zum Beispiel Trump.

Angst, Missgunst, Stolz

Und drittens: Populismus vereinigt drei emotionale Programme beziehungsweise Handlungsweisen: Angst vor Immigranten, vor dem Niedergang, vor China oder einer unsicheren Zukunft; Missgunst, die vermutlich daher stammt, dass die Arbeiterklasse und viele Bereiche der Mittelklasse abgehängt wurden und nun Minderheiten wie Frauen, Afroamerikaner oder LGBTQ-Gruppen an Macht und Sichtbarkeit gewonnen haben und schließlich der Stolz, vor allem, aber nicht nur nationaler und männlicher Stolz, der aus dem Gefühl der Demütigung entsteht, das viele Männer empfinden, weil sie von Frauen überholt wurden.

Ist etwas verkehrt an diesen Emotionen? In ihrem gewaltigen Werk Political Emotions hat Martha Nussbaum versucht, über das Wesen der Gefühle nachzudenken, denen wir in demokratischen und liberalen Gesellschaften den Vorzug geben sollten.[1] Nussbaum entfernt sich zwar von dem Klischee, dass Gefühle aus angemessenen demokratischen und beratenden Prozessen verbannt werden sollen, nur jedoch, um andere abgedroschene Klischees zu wiederholen: Liebe und Mitgefühl sollten bevorzugt werden und Furcht, Scham und Neid bei politischen Vereinbarungen außen vor bleiben.

Politische Emotionen

An dieser Stelle sei es erlaubt, zwei Dinge einzuwenden. "Negative" Gefühle sind nur vom Standpunkt eines Objektes aus negativ, welches die Gefühle als unangenehm oder bedrohlich empfindet. Strukturell betrachtet, können diese negativen Gefühle von entscheidender Bedeutung sein, um Gruppen und soziale Vereinbarungen aufrechtzuerhalten.
So verwies beispielsweise der politische Philosoph des 17. Jahrhunderts, Thomas Hobbes, darauf, dass "Angst" grundlegend für den Naturzustand sei, und das sie der Schlüssel zur Erklärung des Gesellschaftsvertrags sei. Wie Hobbes in De Cive [2]darstellt, sei es tatsächlich nicht die Nächstenliebe, die den Menschen soziale Verträge eingehen und Zivilgesellschaften bilden lässt, sondern die Angst voreinander. Angst liegt also im Herzen des Gesellschaftsvertrags, während die Friedensfähigkeit des Staats nichts weiter ist, als dem Leben die Furcht zu nehmen. Ein anderes Beispiel dafür, wie ein negatives Gefühl positiv umgemünzt wird: Bernard de Mandeville hat in seiner "Bienenfabel"[3] bekanntermaßen dargestellt, dass Gier und Neid durchaus positive gesellschaftliche Güter, wie Handel und Tausch hervorbringen können. Was diese negativen Gefühle gesellschaftlich wertvoll macht, sei ihre Fähigkeit, sich in positives, sozial wertvolles ökonomisches Gut zu verwandeln, in Fleiß und in Wettbewerbsvorteil, der wiederum zur gegenseitigen Abhängigkeit und zu wirtschaftlicher Blüte führe.

Mein Einwand sollte somit klar sein: Das, was für Individuen gilt, nämlich, dass "negative" Emotionen Wohlbefinden, Erfolg oder Liebesfähigkeit abschwächen, muss nicht für das Gesamtgebilde gelten, da "negative" Emotionen das soziale Miteinander regulieren. Emotionen sind also für die Gesellschaft nicht im gleichen Maße gut oder schlecht, wie sie es für eine einzelne Person sind.

Weltfremde Liebe?

Diesen Punkt möchte ich weiter ausbauen: So wie Angst, Neid oder Zorn nicht nur zerstörerische Gefühle sind, sondern auch soziale und politische Verbindungen ordnen können, sind Zuneigung und Mitgefühl nicht die richtigen Kandidaten dafür, gute politische Bindungen entstehen zu lassen. Nussbaum meint, es sei der Zweck der politischen Bindung, Liebe zu fördern. Sie behauptet, "dass diese Gesellschaft sich im Innersten eine stets neue Freude an der Welt und den Menschen bewahren muss. Sie sollte Liebe und Freude dem Erwerb materieller Güter vorziehen, dem sich so viele Menschen verschrieben haben, und sie sollte ständigem Fragen und Suchen den Vorrang vor tröstlichen Antworten geben."[4] In ihrer Abhandlung um Augustinus´ Vorstellung von Agape wendet sich Arendt bekanntermaßen gegen die Rolle der Liebe in politischen Belangen.[5] Spielte Liebe eine solche Rolle in der Politik, so Arendt, hätten wir nie die Macht zu vergeben oder zu urteilen. Arendt ging so weit zu behaupten, die Liebe des Augustinus sei "unbekümmert bis zum Moment völliger Weltfremdheit"[6], was an die Indifferenz der Agape erinnert. Das bedeutet, weil die Liebe den Akt des Urteiles gerade nicht ermöglicht, erlaubt sie den Menschen nicht, sich selbst zu entscheiden und sich für das einzusetzen, was Nussbaum für das Herz der Gesellschaft hält, nämlich Gerechtigkeit und Fairness.

Somit stehen wir vor einem philosophischen Problem: Auf der einen Seite sagt uns unsere Intuition, dass Angst, Missgunst und Stolz schlechte Kandidaten für demokratische Politik sind. Andererseits spiegeln die von Nussbaum vorgeschlagenen Emotionen schlicht und ergreifend nicht die Natur der Abläufe in der liberalen Politik wider. Doch was wir mit Sicherheit sagen dürfen, ist, dass Emotionen nicht länger aus der Politik verbannt werden sollten, wobei einige Befürworter linksorientierten Politik sogar einen linksorientierten Populismus vorschlagen, der vor dem Einsatz von Emotionen nicht zurückschreckt.

Nützlichen Fiktionen von Fortschritt und Vernunft

Liberale und Linksaußen-Politik basieren auf der nützlichen Fiktion von Fortschritt und Vernunft. Diese Fiktionen konnten die politische Vorstellung vom Liberalismus solange leiten, wie der industrielle Kapitalismus und der Nationalismus ihre Versprechen zu halten schienen, also solange sie in der Lage waren, den gesellschaftlichen Pakt zu erweitern und ausgegrenzte gesellschaftliche Gruppen in die wirtschaftliche Produktion einzubinden und zu versorgen; zum einen mit der Möglichkeit beständigen ökonomischen Vorankommens und zum anderen mit den Privilegien nationaler Mitgliedschaft. Solange diese nutzbringenden Fiktionen mit einer sozialen Ordnung einhergingen, konnte der Gedanke von Rationalität und Fortschritt – Eckpfeiler der liberalen Staaten und Nationen – politische Rhetorik und Reden leiten. Doch der globale Finanzkapitalismus hat neue Bruchlinien geschaffen, die die Glaubwürdigkeit der nationalen Zugehörigkeit, des wirtschaftlichen Fortschritts oder der Vernunft als Narrative für das Selbst beziehungsweise das Kollektiv untergraben haben. Populismus ist die emotionale Antwort auf die Rationalität des klassischen Liberalismus: auf dessen Annahme, dass die Wahrheit siegen muss, dass Experten einen privilegierten Status bei der Etablierung dieser Wahrheit haben; dass eine aufgeklärte Diskussion das Kernprinzip des Liberalismus darstellt. Bis sie neue nützliche Fiktionen entdecken, sind Liberalismus und linksorientierte Politik gut beraten, das riesige emotionale Reservoir der beunruhigten Bürger anzuzapfen, für die Kapitalismus und Nationalismus nicht länger funktionieren, ohne jedoch das emotionale Reservoir von Angst und Feindseligkeit zu nutzen. Traditionell schlossen liberale Emotionen Empörung und Mitgefühl mit ein. Sie sollten nun auch Zorn und Hoffnung dazu zählen.


[1] Nussbaum, Martha: Politische Emotionen: Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist. Suhrkamp Verlag 2016.

[2] Hobbes, Thomas: De cive / Vom Bürger. Reclam Universal-Bibliothek 2017.

[3] Mandelville, Bernard: Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile. Suhrkamp Verlag 1980.

[4] Nussbaum, Martha: Politische Emotionen: Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist. Suhrkamp Verlag 2016.

[5] Arendt, Hannah: Der Liebesbegriff bei Augustin: Versuch einer philosophischen Interpretation. Verlag F. Meiner 2018.

[6] Hannah Arendt: Vita Activa oder vom tätigen Leben. Piper Taschenbuch 2007.


Über die Autorin

Eva Illouz ist seit 2006 Professorin für Soziologie und Anthropologie der Hebräischen Universität in Jerusalem. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Soziologie der Emotionen, der Konsumgesellschaft und der Medienkultur. Zuletzt erschienen von ihr "Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen" und "Happycratie: Comment l’Industrie du Bonheur contrôle notre vie Premier Parallèle Editeur".