"Jeder kann zum Flüchtling werden"

Das ostafrikanische Uganda ist – weitgehend unbemerkt von der Debatte um Geflüchtete in den westeuropäischen Ländern – bereits seit einigen Jahren einer der Spitzenreiter, was die Aufnahme von Geflüchteten angeht. Irene Dawa von der Organisation Community Empowerment for Peace and Development West Nile (CEPAD) erklärt im Interview, wie ihre Arbeit grundlegend ansetzen muss, um ein friedliches Miteinander zu sichern.

Nach Angaben des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) befanden sich im März 2022 rund 1,5 Millionen Geflüchtete in Uganda. Was hat zu dieser hohen Zahl geführt?

Irene Dawa: In Uganda leben Geflüchtete aus ganz verschiedenen Ländern und ich möchte nicht behaupten, dass ich den Hintergrund in all diesen Ländern kenne. Ich bin vor allem mit der Situation im Südsudan vertraut. Der Bürgerkrieg dort brach 2013 aus und war sehr blutig. Es gab Bemühungen, ihn zu beenden: Zwei Friedensverträge wurden unterzeichnet, vermittelt durch die Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung (IGAD). Die Umsetzung war jedoch nicht erfolgreich.

Ein von CEPAD organisierter Bürger-Dialog über streunende Tiere, an dem Geflüchtete und Mitglieder der Aufnahmegemeinschaften in Uganda teilnahmen. Dawa betont, wie wichtig die Integration von Flüchtlingen in ihre neuen Gemeinschaften ist. | Photo © CEPAD-West Nile

Flüchtlinge mit unterschiedlichem Hintergrund

Aus dem Südsudan kommen Flüchtlinge in die Region West-Nil [in Nordwest-Uganda] und sie sitzen hier nun fest: Sie haben Angst vor einer Rückkehr. Es hat zwar Verhandlungen gegeben, aber die getroffenen Vereinbarungen sind nicht umgesetzt worden. So fragen sie sich: „Wenn wir zurückgehen, wie soll dort unsere Zukunft aussehen?“

Im Osten der Demokratischen Repuplik Kongo hat sich der Konflikt inzwischen bis nach Goma [in der Nähe der Grenze zu Uganda] ausgedehnt. Es gibt bei uns auch einige Geflüchtete aus Kenia aufgrund der instabilen Lage an der Grenze zwischen Kenia und Somalia, die schon seit langem andauert, wodurch weiterhin Menschen ihr Zuhause verlieren. Die äthiopischen Flüchtlinge in Uganda kamen während des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea von 1998 bis 2000. Die Menschen waren danach nie zurückgekehrt, sie sind also nicht vor dem aktuellen Konflikt in Tigray geflüchtet.  

Uganda ist ungewöhnlich großzügig, was die Gewährung von Rechten für Geflüchtete angeht. Was können europäische Länder beim Umgang mit Flüchtlingen von Uganda lernen?

Irene Dawa:

Es sollte den Europäern bewusst werden, dass ein Mensch ein Mensch ist und dass jeder zum Flüchtling werden kann. Die Regierung Ihres Landes muss nur den falschen Knopf drücken und ehe Sie sich darüber bewusst werden, sind Sie draußen. Sie haben keine Wahl.

"Jeder kann zum Flüchtling werden"

Gibt es bei den Menschen, die aus den verschiedenen Ländern und Konflikten nach Uganda geflüchtet sind, gemeinsame Erfahrungen, wenn sie zu Community Empowerment für Frieden und Entwicklung West-Nil (CEPAD-WN) kommen?

Irene Dawa: Viele Geflüchtete sagen: „Ich habe alles verloren. Ich bin alleine gekommen. Ich weiß nicht, wo meine Familie ist“. Oder: „Ich habe mit ansehen müssen, wie meine Familie umgebracht wurde“. Das sind ganz verbreitete Geschehnisse: Massaker, bei denen ganze Dörfer ausgelöscht wurden. Andere sagen zum Beispiel: „Ich war wohlhabend, hatte Vieh. Doch alle Tiere wurden von den Rebellen mitgenommen“. Es geht um den Verlust des Eigentums und den Verlust der Familie, verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Unsicherheit.

Ein Bürger-Dialog über Drogenmissbrauch bei Jugendlichen. | Photo © CEPAD-West Nile

Durch das ifa zur Verfügung gestellte Mittel helfen Ihnen dabei, eine Art sekundäre Unterstützung zu geben: Programme zur Konfliktprävention und zur Integration in die Aufnahmegesellschaft statt Erstbetreuung, wie etwa Gesundheitsversorgung. Warum legen Sie darauf Wert?

Irene Dawa: Was mir von Anfang an klar war, ist, dass Geflüchtete eine Geschichte der Gewalt mit sich herumtragen. Die Gewalt hat sie hierhergeführt, deshalb müssen wir ihnen eine Alternative zur Gewalt aufzeigen. Darauf hatte noch keine Organisation ihren Fokus gelegt. CEPAD-WN hat als Basisinitiative angefangen: Ich habe mein eigenes Gehalt hineingesteckt.

Für mich geht es um Verhaltensänderungen der Menschen.

Eine CEPAD-Schulung für Führungsfiguren aus den Gemeinden. In der West-Nil-Region bildet die Organisation sowohl südsudanesische als auch ugandische Führungspersonen aus. | Photo © CEPAD-West Nile

Individuelle Geschichten der Gewalt

Wenn Menschen an Gewalt gewöhnt sind, können Sie ihnen Zugang zu Gesundheitsversorgung geben – aber Sie dürfen dann nicht überrascht sein, wenn etwa ein Mann einen Streit mit seiner Frau anfängt, diese sich daraufhin in die Gesundheitsstation flüchtet und er die Station dann anzündet. Sie müssen ihm beibringen, dass es andere Lösungsmöglichkeiten gibt. Mit anderen Worten: Sie können Schulen, Gesundheitseinrichtungen und anderes einrichten – wenn Sie jedoch nicht an die Einstellungen einer Person herankommen, und ihr Alternativen zu gewalttätigem Verhalten aufzeigen, ist alles umsonst. Die Veränderung der Einstellungen und des Verhaltens von Menschen ist jedoch ein Prozess, der seine Zeit benötigt.

Konflikte im Heimatland können auch auf Geflüchtete im Ausland übergreifen. Wie geht CEPAD-WN bei der Konfliktprävention vor? 

Irene Dawa: Was wir den Geflüchteten zu sagen versuchen, ist: "Es gibt etwas Gemeinsames, was euch hierhergebracht hat. Können wir diese gemeinsame Geschichte dafür nutzen, um für eine bessere Zukunft zu sorgen? Jene, die mit dem Krieg angefangen haben, wissen nicht einmal, dass ihr hier in Uganda seid. Sie kennen eure Namen nicht. Ihr solltet euch gemeinsam diesen Leuten entgegenstellen, die in eurem Land Krieg führen. Eure Botschaft muss sein: 'Dieses Land gehört uns. Lasst uns Gewaltfreiheit nutzen, um uns zu wehren'". Wir vermitteln den Geflüchteten, dass es nie zu spät für einen Neuanfang ist. Wir machen ihnen deutlich:

"Eure Kinder verdienen eine bessere Zukunft und diese Zukunft liegt in ihrem Land. Ihr müsst gemeinsam für eure Kinder kämpfen."

 

Ein Treffen des CEPAD Peace Club. | Photo © CEPAD-West Nile
Interview mit
Irene Dawa

Irene Dawa ist Fachberaterin bei der Organisation Community Empowerment for Peace and Development West Nile (CEPAD). Die Organisation in Uganda ist Partner des Förderprogramms zivik.