Albertinum Lichthof in Dresden

Eine Plattform gesellschaftlicher Diskurse

Den internationalen Geist gegen Nationalismus und Rassismus hochhalten! Für Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, ist das eine der wichtigsten Aufgaben von Museen. Für die Zukunft gilt es, Kunstwerke und Museumsgeschichte noch stärker multiperspektivisch zu betrachten.

ifa: Wie geht es der Staatlichen Kunstsammlung Dresden seit und in der Krise? Wie verändert die aktuelle Situation die Arbeit Ihrer Museen und seine Konzeption?

Marion Ackermann: Seit Jahresbeginn befinden wir uns als Staatliche Kunstsammlungen Dresden zwischen den Extremen: Nach dem Rekordjahr 2019 mit 2,6 Millionen Besucherinnen und Besuchern und der Wiedereröffnung des Semperbaus am Zwinger nach einer siebenjährigen Sanierung, mussten wir Mitte März nach nur zwei Wochen aufgrund der Corona-Pandemie unsere 15 Museen schließen. Am 4. Mai 2020 haben wir begonnen, ein Museum nach dem anderen zu öffnen. Sowohl bei der Schließung als auch bei der Wiedereröffnung der Museen bewegten sich unsere Überlegungen zwischen "safety" und "security" – wie können wir unsere Sammlung, aber auch unsere Besucherinnen und Besucher, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen? Welche Museumsöffnungen führen zu welchen Sicherheitskosten, und was können wir uns angesichts der fehlenden Ticketerlöse durch die strengen Hygieneauflagen und der gesunkenen Besucherzahlen leisten?

Seit der Schließung bis Ende Mai erlebten wir insgesamt 2,5 Millionen Euro Einnahmeverluste – insbesondere durch den fehlenden Tourismus aus Deutschland und dem Ausland. Auch mussten langfristig geplante Ausstellungen verschoben werden, der Leihverkehr wurde radikal herunter- und wieder hochgefahren und unser Museumsverbund als staatlicher Betrieb sowie unsere Bildungs- und Vermittlungsarbeit erfuhren einen Boost digitaler Prozesse. Die schrittweisen Wiedereröffnungen sowie die Einhaltung des Hygienekonzeptes ließen es zu, die Ausstellungen "Raffael – Macht der Bilder. Die Tapisserien und ihre Wirkung" im Semperbau und "300 Jahre Sammeln in der Gegenwart" im Jubiläumsjahr des Kupferstich-Kabinetts, interessante Präsentationen im Kunstgewerbemuseum sowie die große Retrospektive "Ernst Barlach zum 150. Geburtstag" im Albertinum zu eröffnen. Aller Widrigkeiten zum Trotz sind wir zuversichtlich und freuen uns über den Zusammenhalt in der Museumswelt.

ifa: Wie sprechen Sie unter den veränderten Bedingungen Ihr Publikum an? Welches Publikum erwarten Sie und was erwarten Sie von Ihrem Publikum?

Ackermann: Obgleich die Schließung unserer Museen einen schmerzlichen Verzicht auf das Erlebnis des originalen Kunstwerks bedeutet, konnten wir auf die Krise positiv reagieren: Zum einen verlagerten wir unsere physische Präsenz ins Internet und bauten unseren digitalen Content aus. Das Ergebnis waren neben Live walks mit Kuratorinnen und Kuratoren, digital übertragenen Ausstellungseröffnungen und einem Internetangebot unserer Bildung und Vermittlung zwei neue Ausstellungsformate: Die sammlungsübergreifende Online-exhibition "#wemask" auf Initiative des Kunstgewerbemuseums rief durch eine künstlerisch gestaltete Anleitung zum Spenden eigens hergestellter Gesichtsmasken auf und verband dies mit einer kurzen Kulturgeschichte anhand von Masken, die sich in unseren Sammlungen befinden. Zum anderen überarbeiten wir derzeit unsere Ausstellungsplanung für die nächsten drei Jahre. Dabei wird deutlich, dass durch unser reduziertes Budget weniger Blockbuster-Ausstellungen und auch insgesamt weniger Sonderausstellungen geplant werden können.

Noch stärker als zuvor werden wir unser lokales Publikum ansprechen, auch durch Kooperationen mit hier ansässigen Institutionen. Durch unsere Online-Präsenz soll zugleich ein überregionales Publikum angesprochen werden, das durch die veränderte Situation der Pandemie nicht in unsere Museen kommen kann. Unsere internationale Strahlkraft wollen wir gerade jetzt intensivieren: Wir müssen den internationalen Geist unserer Institution und Sammlungen gegen jegliche Tendenzen des Nationalismus und Rassismus hochhalten. Von unseren Besucherinnen und Besuchern wünschen wir uns, dass sie Verständnis zeigen für unsere Regulierungen und notwendigen Maßnahmen, die zu Ihrem Schutz eingeführt wurden und sie hoffentlich auch in Zukunft nicht vor dem Museumsbesuch abhalten.

ifa: Welche Konzepte verfolgen Sie hinsichtlich der Zugänglichkeit und Partizipation zu Beständen, zu Wissen und zu Lesarten?

Ackermann: Digitale Medien und die globalen Netzwerke haben das Prinzip des "Sharing"-Gedankens gestärkt. Demokratische Formen beim Sammeln von Wissen haben ihren besonderen Wert im Internet gezeigt. Natürlich müssen auch wir uns fragen, wie zugänglich unser Wissen in Wirklichkeit ist, doch nehmen wir im Bereich "Open Access" in Deutschland eine Vorreiterrolle ein: Das Recherche-, Erfassungs- und Inventurprojekt "Daphne" spiegelt sich im Internet in unserer Online Collection und macht unsere Forschungsergebnisse unmittelbar sichtbar. Die Pandemie wiederum verstärkt unsere Wissensvermittlung im Internet: Angefangen im Bereich unserer Vermittlungsarbeit bis hin zum Online-Angebot auf sozialen Medien, Live-Übertragungen von Museumsveranstaltungen und Kongressen.

Der Gedanke, unsere Kunstwerke und Museumsgeschichte im Sinne der Multiperspektive zu betrachten, wird in Zukunft für uns eine noch größere Rolle spielen: sei es über den Zugang zu handwerklicher Könnerschaft bei der Entstehung der Kunstwerke bis hin zu transkulturellen und multiperspektivischen Ansätzen bei der umfassenden Reflexion unserer Sammlungen. Ein Beispiel dafür wäre der Blick internationaler Kollegen, beispielsweise aus Polen, Tschechien und Litauen auf August den Starken.

ifa: Verstehen Sie Ihr Museum als Ort des politischen Diskurses?

Ackermann: Die Gesellschaft spiegelt sich naturgemäß mit ihren Themen im Museum wider und lässt unsere Institutionen zu einer Plattform gesellschaftlicher Diskurse werden. In den letzten Jahren haben radikale Positionen in der politischen Landschaft Einfluss auf unseren Alltag genommen – der Brexit als Erschütterung unserer europäischen Allianz aber auch das Erstarken der deutschen Rechten mit gleichzeitigem Infragestellen unserer demokratischen Werte seien hier als Beispiele genannt. Diesen Tendenzen wollen wir uns als öffentliche Institution entgegenstellen und uns in dem uns verfügbaren Rahmen engagieren. Streitpunkte wie die Präsenz von Kunst aus der Zeit der DDR haben gezeigt, wie wir uns mit hochpolitischen Themen fruchtbar auseinandersetzen und Foren mit konstruktivem Austausch wie in der Agora des griechischen Künstlers Andreas Angelidakis im Albertinum schaffen können. Auch die Pandemie zeigt, wie nah unser Museumsalltag am politischen Leben ist und unsere musealen Themen zu politischen Themen werden.


Prof. Dr. Marion Ackermann ist Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

MuseumsNow

Unter dem Titel "MuseumsNow" befragte das ifa Akteurinnen und Akteure internationaler Museen nach ihren aktuellen Erfahrungen, Herausforderungen und Visionen – auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie. Die Interviews und Berichte geben einen Einblick in gegenwärtige museale Praktiken und zivilgesellschaftliches Handeln von Museen weltweit.

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