Kultur­arbeit: Globale Vernetzung für den Frieden

Podcast mit Gitte Zschoch

Verständnis und Vertrauen – diese Werte prägen den globalen Kulturaustausch und erscheinen in Zeiten von Krisen und Kriegen wichtiger denn je. Gitte Zschoch, Generalsekretärin des ifa – Institut für Auslandsbeziehungen spricht mit Host Amira El Ahl über aktuelle Chancen und Herausforderungen von internationaler Kulturarbeit, wie Gesprächsräume in zunehmend illiberalen Gesellschaften geschaffen werden können und wie "die Welt ein sichererer Ort wird".  

 

Illustration: Lea Dohle

Kulturaußenpolitik hörbar machen.

Das ifa liefert Hintergrundwissen und Antworten auf Fragen der Zeit im Podcastformat

Diese Folge des ifa-Podcast ist auf allen gängigen Podcastplattformen abrufbar. Um keine Folge zu verpassen, am besten "Die Kulturmittler:innen" auf dem Streamingdienst der Wahl abonnieren.

Transkript der Folge

Kulturarbeit: Globale Vernetzung für den Frieden. Mit Gitte Zschoch 

Amira El Ahl: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Die Kulturmittler:innen", dem ifa-Podcast zur Außenkulturpolitik. Mein Name ist Amira El Ahl, und ich freue mich sehr, dass Sie wieder mit dabei sind. In dieser Folge wollen wir einmal einen Schritt zurücktreten und schauen, wie sich die Welt verändert hat im letzten Jahr und in den Jahren davor, und wie sich eine Organisation wie das Institut für Auslandsbeziehungen darin verortet. Wir wollen darüber sprechen, welche Chancen und Herausforderungen das für das ifa mit sich bringt. Und mit wem könnte ich über diese Themen besser sprechen als mit Gitte Zschoch, die Generalsekretärin des Instituts für Auslandsbeziehungen? Herzlich willkommen im Podcast, Gitte! 
 
Gitte Zschoch: Ja, herzlichen Dank, ich freue mich, dass ich hier sein darf.
 
Amira El Ahl: Schön, dass du die Zeit gefunden hast, das ist super. Kommen wir gleich mal auf die Veränderungen der vergangenen Jahre und ihre Bedeutung für das Institut für Auslandsbeziehungen zu sprechen. Konflikte werden weltweit zunehmend militärisch ausgetragen. Überall auf der Welt finden derzeit Zäsuren statt, unter anderem im Nahen Osten, aber auch in Europa, in der Ukraine. Wie wirken sich diese weltweiten Konflikte auf die Kulturarbeit aus, wenn wir jetzt mal bei den Beispielen Ukraine und Nah-Ost bleiben?
 
Gitte Zschoch: Ja, gehen wir gleich mitten rein ins Thema und in unsere Arbeit. Wie wir, die wir in den internationalen Kulturbeziehungen tätig sind, auf die Welt blicken, ist ja immer mit dieser Idee, global zu denken, global zu schauen. Deswegen sind Konflikte für uns in unserer Arbeit eigentlich nicht neu. Du hast jetzt zwei erwähnt, und gleichzeitig haben wir den Sudan, wir haben die Demokratische Republik Kongo, Äthiopien-Eritrea, Afghanistan, Jemen. Das ist für uns alles immer präsent. Und was aber natürlich stimmt, ist, dass die russische Attacke auf die Ukraine und Hamas auf Israel, dass das uns als deutsche Gesellschaft ganz besonders herausfordert und mit der Ukraine natürlich auch eine echte geografische Nähe nochmal da ist, wobei man das ja auch immer unterschätzt. Unser geografisches Wissen und Wissen für Entfernungen ist ja manchmal gar nicht unbedingt so rational basiert. Aber es stimmt natürlich, dass das größere Auswirkungen hat, als wenn Sachen weiter weg sind, was ein bisschen traurig ist, aber natürlich auch den Realitäten entspricht. Und was wir merken, ist, dass das, was in Israel und in Gaza, im Westjordanland, in Palästina, palästinensischen Gebieten, passiert, sehr emotional ist und viele von unseren Partnerinnen und Partnern ganz besonders mitnimmt.
 
Amira El Ahl: Dort, aber auch hier?
 
Gitte Zschoch: Beides. Das ist auch eine Beobachtung, die wir haben aus den letzten Jahren, dass dieses Innen und Außen getrennt so nicht mehr stimmt, weil sich unsere Gesellschaft ganz stark verändert hat. Nicht nur durch Migrationsbewegungen, aber auch durch die mediale Öffentlichkeit, die wir durch die sozialen Medien haben. Man kann ständig überall sein, sodass dieses globale Weltgeschehen einfach auch viel mehr Einfluss auf uns hat.
 
Amira El Ahl: Das heißt, das merkt ihr schon immer, aber jetzt ganz im Speziellen.
 
Gitte Zschoch: Wir haben unsere neueren Programme, Schutzprogramme, die Menschen, die sich für Kultur und Kunst einsetzen, Künstler:innen sind oder Menschenrechtsaktivist:innen in anderen Ländern, eine Chance geben, in Deutschland oder in einem Nachbarland mehrere Monate lang zur Ruhe zu kommen. Da steigt die Nachfrage extrem. Iran und Russland zum Beispiel sind Länder, aus denen wir viel mehr Bewerbungen für diese Programme bekommen als in den Jahren zuvor.
 
Amira El Ahl: Das wäre noch eine Frage gewesen, so ganz konkret, was könnt ihr leisten als Institut, gerade in solchen Regionen? Kann man da dann überhaupt noch arbeiten? Also ist es überhaupt möglich, oder werden wirklich hauptsächlich Leute dann hierher geholt?
 
Gitte Zschoch: Ja, das ist eine gute Frage. Wir haben globale Programme und keine Niederlassung. Aber mit einzelnen Projekten waren wir in Russland und das ging schon seit einigen Jahren nicht mehr, weil die Räume nicht mehr gegeben waren, weil eine gewisse Freiheit für Journalist:innen zum Beispiel nicht mehr möglich war. Aber in der Ukraine finden weiterhin Kunst- und Kulturprojekte statt, da sind Sachen. Wir sind da nicht direkt präsent, sondern haben Programme, zum Beispiel ein Tandem-Programm für Frauen und für Menschen aus der LGBTIQ-Community, die geflohene Menschen aus der Ukraine mit Minderheiten aus den umliegenden Ländern in Kontakt bringen und da über eine menschliche Beziehung eine Unterstützung aufbaut. Das ist dann schon möglich. Insgesamt geht es in unserer Arbeit ja ganz stark um Verständnis, Empathie und Vertrauen. Das aufzubauen, auch wenn es schwierig ist, auch wenn man Meinungsverschiedenheiten hat, das ist jetzt in so einer Situation wie Israel und palästinensische Gebiete oder auch Ukraine-Russland echt nicht leicht. Ich glaube, da muss man das auch respektieren, dass da die Emotionen hochgehen und da vielleicht gerade wenig möglich ist. Aber man kann es trotzdem versuchen und dann eben schauen, dass man dran bleibt. Was man aber auch nicht unbedingt erwarten darf, ist, dass die Kultur alles heilt. Ja, wir sind da und wir leisten unseren Anteil. Aber man kann, glaube ich, auch nicht erwarten, dass alle Konflikte gelöst werden mit Kultur. Da ist ein perspektivischerer Ansatz nötig.
 
Amira El Ahl: Ja, aber du hast ja gerade gesagt, Verständnis, Empathie und Vertrauen aufbauen, das sind ja auch dann Werte, die man braucht in der Zukunft. Das, was man, wenn dann einmal der militärische Konflikt, über den wir gerade gesprochen haben, vorbei ist, dann braucht man ja umso mehr diese Werte, um dann wieder was aufzubauen. Und vielleicht ist eben genau da dann die Arbeit wichtig, die ihr und das ifa macht, um Menschen wieder zusammenzubringen. Sei es in verhärteten Konflikten wie in Israel, Palästina, palästinensischen Gebieten oder in Ukraine, Russland. Das ist für die Zukunft sehr wichtig.
 
Gitte Zschoch: Ja, total. In diesen Werten liegt ein Anspruch. Das ifa gibt es seit über 100 Jahren. Und Völkerverständigung ist der Begriff, der in unserer Satzung auch unsere Arbeit beschreibt und der uns über Jahrzehnte lang begleitet hat und der immer wieder neu ausdefiniert wird. Aber diese Basis, Empathie und Vertrauen, das bleibt, und die Frage ist nur, wie und was. Wie verändert sich die Welt? Sind wir mit unseren Instrumenten oder mit unseren Projekten zeitgemäß? Das muss man immer wieder neu austarieren. Mit diesen großen Veränderungen in der Welt – weil ich glaube, dass dieser Eindruck stimmt, dass es konfliktuöser wird, China-Taiwan kann man sich angucken – müssen wir schauen: Sind unsere Instrumente noch richtig? Sind wir in den richtigen Weltregionen? Machen wir das Richtige, dass man sich auch immer selbst hinterfragt und anpasst auf einer strategischen Ebene. Das ist meine Rolle, aufs ifa zu schauen.
 
Amira El Ahl: Aber das stimmt schon. Man verliert dann oft aus dem Blick, wie viele Konflikte es eigentlich gibt. Wir haben ja auch hier im Podcast schon über Myanmar gesprochen oder auch über Taiwan. Da sind noch so viele andere Konflikte, die man dann, wenn gerade etwas akut ist und aktuell, vergisst. Oder den Sudan hast du eben angesprochen. Wo wir gerade beim Globalen Süden sind: Du hast auch eben gesagt, global denken, global handeln, das ist das, was ihr macht. Du hast auch den Kongo zum Beispiel genannt. Da hast du ja auch lange gelebt, unter anderem warst du Gründungsdirektorin der Außenstelle des Goethe-Instituts in Kinshasa. Wenn man sich mal überlegt: Kulturaustausch, kann der überhaupt auf Augenhöhe stattfinden, wenn man den Globalen Süden sich anschaut und das Thema koloniale Vergangenheit? Was ja auch eines ist, was in den letzten Jahren immer mehr zum Thema geworden ist. Wird da auch aus deiner persönlichen Erfahrung vor Ort diese Autorität des Westens in Frage gestellt? Hat sich da vielleicht auch die Rolle des ifa verändert? Weil du gerade auch sagtest, in der Satzung steht Völkerverständigung drin. Siehst du, dass sich da vielleicht auch etwas verändert hat in eurer Rolle? Wie wird es angenommen im Globalen Süden?
 
Gitte Zschoch: Das ist eine riesige Frage. Um auf den ersten Teil deiner Frage einzugehen: Ich glaube, es kommt ganz stark auf die Haltung an, die man mitbringt, wenn man mit Menschen und mit Partner:innen auf der ganzen Welt, aber speziell in dem, was wir Globaler Süden nennen, in Kontakt tritt. Auf Augenhöhe ist natürlich schon mal so eine Setzung, dass man die überhaupt bemühen muss, zeigt ja, dass man vielleicht ein Problem hat. Meine Erfahrung aus der Arbeit auch im Kongo, in Kinshasa, zeigt, dass es die Haltung ist und dass es eine Authentizität braucht. Man muss auch vieles anerkennen. Zu Beispiel ist es super privilegiert: Wir kommen aus dem Globalen Norden und wir haben einfach immer Geld. Unsere Institute, Institutionen, die sind stark und die sind gut ausgestattet, klar. Und jetzt gehen die Budgets zurück. Aber trotzdem ist eine gewisse Kontinuität da, da ist auch ein politisches Vertrauen in unsere Arbeit da. Was super ist und wofür ich total dankbar bin. Das zu haben, ist einfach etwas, was unsere Institution ganz stark von allen Menschen, die im Globalen Süden Kultur machen, unterscheidet. Das aber anzuerkennen ist, glaube ich, schon ein erster Schritt. Auch zu wissen: Unsere koloniale Vergangenheit hat einen Impact auf die Menschen und Institutionen in anderen Ländern, in ehemaligen Kolonien. Das hilft schon, um wirklich ins Gespräch zu kommen und dann auch zu sagen, was braucht ihr, was wollt ihr machen. Anstatt zu kommen und zu sagen: Wir wollen jetzt hier unsere großen Künstlerinnen und Künstler zeigen. Um auf den zweiten Teil deiner Frage einzugehen: Ja, da hat sich viel verändert. Traditionell war es so, dass wir das zeigen, was wir gut finden an Kunst und Kultur in Deutschland. Dann haben wir die großen Künstler gezeigt. Wir machen ja auch Kunst und haben eine große Sammlung, weil wir über Jahrzehnte Tourneeausstellungen gemacht haben. Dann war eben die Idee, wir schicken den Gerhard Richter, wir schicken Joseph Beuys in die Welt. Das war auch wirklich okay für eine Weile, und jetzt sagt man aber, wie relevant ist das in Kinshasa zum Beispiel. Einer der ersten Kontaktpunkte für mich mit dem ifa war eigentlich eine ganz traditionelle Ausstellung mit Wolfgang Tillmans. Total cool eigentlich, einer der Top Ten Artists der Welt, der dann mit seiner Fotografie – was auch ganz fragil war, die Ausstellung hieß auch "Fragile" – Fragilität gezeigt hat mit Papierarbeiten, die einfach an der Wand hängen. Er hat auch eine andere Art, Kunst zu machen, Kunst zu zeigen, weil es ja fotografiert ist. Wir hatten dann eine Veranstaltung in der Kunsthochschule in Kinshasa. Und die Leute fragen: Ich kann auch einfach meinen Wäscheberg fotografieren. Warum ist das jetzt bei dir Kunst? Das hat auch viele Fragen aufgeworfen. Wolfgang Tillmans arbeitet auch mit männlicher Sexualität zum Beispiel. Dann kommt auch eine Wertevorstellung rein, die wieder Gesprächsräume eröffnet und die zum Denken anregt. Das ist ja noch auf eine Art sehr traditionell, wir bringen jetzt hier einen deutschen Künstler. Als ich damals in Kinshasa war, habe ich aber gesagt, hier geht es jetzt nicht um deutsche Kunst, sondern lasst uns was zur Kunst machen. Was wollt ihr machen, damit wirklich ganz viele Menschen in diese Ausstellung kommen? Damit ganz viele Leute teilhaben, damit wir das für die Kunst machen. Das meinte ich auch mit der Haltung. Was sich auch ganz stark verändert hat, ist, dass wir jetzt zum Beispiel unsere Kunstprojekte viel stärker gemeinsam entwickeln. Wir haben eine Ausstellung, "EVROVIZION", die guckt sich Europa aus semiperiphären Perspektiven an. Wie denkt man auf dem sogenannten Balkan über Europa. Die Ausstellung ist Deutsch-Serbisch kuratiert. An jedem neuen Ausstellungsort – im Moment ist sie in Nikosia auf Zypern – kommt dann mit einer neuen lokalen Kuratorin oder einem Kurator neue Arbeiten dazu. Dann entsteht was ganz anderes vor Ort. Dann ist das so eine gemeinschaftliche Produktion, da kommen Künstlerinnen und Künstler zusammen. Also eine lange Antwort auf deine Frage.
 
Amira El Ahl: War ja auch eine komplizierte Frage.
 
Gitte Zschoch: Aber ich denke, so hat sich die Arbeit verändert, und so gehen wir anders in Kontakt mit den Menschen und schaffen das dann eben im Kleinen oder auch im Großen, Beziehungen aufzubauen. Darum geht es eigentlich, Menschen zusammenzubringen über Grenzen hinweg, und dadurch entsteht Verständnis.
 
Amira El Ahl: Vertrauen. 
 
Gitte Zschoch: Und Vertrauen, genau.
 
Amira El Ahl: Da sind wir wieder bei diesen Werten. Das ist das Wichtige. Übrigens ganz kurzer Einschub: Ein Gespräch mit Wolfgang Tillmans kann man auch noch mal nachhören bei den Kulturmittler:innen, der damals auch zu dieser Ausstellung bei uns gesprochen hat. Ganz spannend, wie er das auch erlebt hat diese Ausstellung in Kinshasa zum Beispiel und den Austausch. Ich glaube, das ist ja auch für deutsche Künstler, die dann dahin gehen, eine spannende Erfahrung. Das ist ja nicht eine Einbahnstraße, sondern das geht in beide Wege, dass man was lernt und voneinander lernt und Vertrauen aufbaut. Da können alle von profitieren, auf beiden Seiten.
 
Gitte Zschoch: Ja, das stimmt auf jeden Fall. Die Kunst und Kultur Szene ist an sich schon sehr international vernetzt. Wir wollen keine Agentur sein für Lernen im Ausland für deutsche Künstlerinnen und Künstler. Dieses gemeinsame Lernen noch stärker durch Formate zu etablieren, ist gut. 
 
Amira El Ahl: Gehen wir nochmal zur Politik. Auch die vorpolitischen Räume werden immer enger, die Räume werden auch immer illiberaler, das merkt man auch hier. Es wird zunehmend schwieriger, Meinungsfreiheit und Demokratie zu leben, auch in Europa. Da gibt es viele Beispiele, Ungarn ist eines von vielen Beispielen. Wie versuchen kulturelle Akteure wie das ifa Zivilgesellschaften in solchen Ländern zu unterstützen? Geht das überhaupt?
 
Gitte Zschoch: Ja, ich würde sagen, dass es geht. Wir haben ein Programm, das "CrossCulture Programm", was ganz gezielt für junge Menschen existiert, die sich für Themen engagieren wie Klima, Klimakatastrophe, wie Menschenrechte, Demokratie, LGBTIQ-Rechte. Und das in Ländern, wo es nicht so einfach ist. Wir hatten mit einer Kollegin aus Kuba gesprochen, die Journalistin war. Meinungsfreiheit war für sie ein großes Anliegen, sie hat eine Hospitanz bei der Taz gemacht für ein paar Monate. Solche Lernräume zu ermöglichen und diese Menschen in ihrem Engagement zu stärken, sie zu vernetzen mit anderen, das ist eine Möglichlichkeit, zivilgesellschaftliches Engagement bei den Menschen, mit denen wir Werte teilen, zu stärken und zu fördern und dann auch für eine globale Vernetztheit zu sorgen. Wir laden diese Menschen jedes Jahr ein, gehen in den Bundestag, gehen ins Auswärtige Amt. Was man da hört, das geht richtig nahe. Wenn jemand, der sich in Pakistan für Menschenrechte einsetzt, sagt, dass er zwar immer dachte, dass es super schwer ist, in seinem Land sich für Menschenrechte einzusetzen, aber dann spricht er mit jemand aus einem anderen Land und denkt, okay, bei mir geht noch einiges, was bei anderen nicht mehr geht – das ist wirklich bewegend.
 
Amira El Ahl: Ja, das glaube ich. Wie sieht denn die Zusammenarbeit Deutschlands mit Partnern in Ländern wie Russland und China aus, und vielleicht auch in Zukunft? Das stelle ich mir auch extrem schwer vor, gerade im Moment, aber wir hatten ja vorhin schon mal über die Zukunft gesprochen.
 
Gitte Zschoch: Es ist schwierig zu sagen. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dort die Gesprächsfäden eben nicht abreißen zu lassen und immer zu schauen, was ist möglich und wo gibt es Öffnungen und das richtig einzuschätzen. Ich kann nicht sagen, das und das Projekt planen wir jetzt gerade mit China, aber eigentlich ist es wichtig, dass wir da dranbleiben und diese Gesprächsräume offenhalten.
 
Amira El Ahl: Apropos Gesprächsräume: Wir hatten gerade gesagt, dass es auch illiberaler wird in Europa. Am 9. Juni 2024 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Welche Auswirkungen könnte ein erwarteter Rechtsruck haben bei diesen Wahlen, auch generell auf die Zusammenarbeit mit den internationalen Partnern? Kannst du das einschätzen?
 
Gitte Zschoch: Das, was in Deutschland, in Europa, passiert und was auch diesen politischen Raum angeht, wird in den Ländern der Welt beobachtet und entscheidet darüber mit, wie anerkannt oder wie... Soft-Power ist so ein Begriff. Ich war gestern in einer Podiumsdiskussion, da ging es genau um Soft-Power. Das zahlt natürlich mit ein, wenn man das wie ein Konto sieht. Wenn es zum Beispiel nicht einfach ist, sich in Deutschland ein Leben aufzubauen, wenn man aus Sri Lanka kommt oder aus Kolumbien, dann hat das natürlich Auswirkungen. Es ist dann wieder verknüpft mit Wirtschaft, wenn ich jetzt mal einen ganz großen Wurf machen. Das Wohlergehen in Deutschland hängt an unserer wirtschaftlichen Entwicklung und die ist global verflochten. Gestern hat mir jemand erzählt, dass auch als Professor oder Professorin, wenn man sich um einen Aufenthaltstitel bemüht hier in Berlin, man um 02:30 Uhr zur Ausländerbehörde geht und dort ansteht und dann wartet, dass einem in den Behörden geholfen wird. Das spricht sich natürlich rum. Und wenn unsere Räume dann noch restriktiver werden, dann weiß man das natürlich in der Welt. Das würde ich als negativ bewerten.
 
Amira El Ahl: Absolut. Wir sind, das wissen wir alle, auf Fachkräfte angewiesen aus der Welt, damit unsere Wirtschaft am Laufen bleibt.
 
Gitte Zschoch: Du hast vorhin von Ungarn gesprochen. Ich glaube, dass unsere Gesellschaften davon profitieren, wenn sehr viele Stimmen sprechen. Es gibt nicht umsonst eine UNESCO-Konvention für die Diversität der Kulturen. Die ist von den Vereinten Nationen, auf diesem globalen Level, wie wir uns einigen als Länder der Welt, wie wir leben wollen. Diese Konvention sagt: Vielfalt in der Kultur ist gut und es bedeutet, dass ganz viele Menschen mit den verschiedensten Stilen, Musikstile zum Beispiel, mitsitzen am Tisch und mitgefördert werden in der Kulturlandschaft. Da könnte ich mir vorstellen, dass, wenn mehr Parteien, die dem rechten Spektrum angehören, in den Regierungen oder im Europäischen Parlament, das war ja deine Frage, sind, dass das eingeschränkt wird. Dann geht ein Innovations- und Kreativitätspotenzial in unseren Gesellschaften verloren.
 
Amira El Ahl: Da gibt es genug Beispiele in Europa, wo man das sehen kann. Polen ist ja auch ein Beispiel, wo wir gerade eine Veränderung gesehen haben.
 
Gitte Zschoch: Eine positive auch.
 
Amira El Ahl: Eine positive Veränderung. Das war wie ein kollektives Aufatmen.
 
Gitte Zschoch: In Polen ist es total interessant zu sehen: Wenn man sich die EU-Barometer, also die Statistiken der EU, anschaut, gab es in Polen immer eine super hohe Zustimmung zur EU, zu Europa, in der Zivilgesellschaft. Ich finde es toll, zu sehen, dass sowas sich dann auch in Wahlen auswirkt. Das ist ein Hoffnungsbeispiel.
 
Amira El Ahl: Ja, das finde ich auch. Du hattest vorhin schon mal gesagt, dass das ifa jetzt schon über 100 Jahre alt ist. Du bist seit zwei Jahren Generalsekretärin des ifa, und zum ersten Mal steht eine Frau der hundertjährigen Institution vor. Gleichzeitig, haben wir ja gerade besprochen, verändern sich die Rahmenbedingungen in der Welt, auch dramatisch teilweise. Da muss sich das ifa anpassen, hast du ja auch gerade gesagt. Welche Chancen siehst du darin, dass jetzt zum ersten Mal eine Frau das Institut leitet, auch für die Entwicklung des Instituts?
 
Gitte Zschoch: Das müssen, glaube ich, andere Leute beurteilen. Ich sehe das natürlich. Als ich mich beworben habe, habe ich auch gedacht, ich mache das gar nicht nur für mich alleine, sondern ich mache das auch für alle anderen Frauen, für jüngere Frauen, weil es mir darum geht, mitzugestalten. Natürlich ist es super viel Verantwortung. Ich nehme sie an, ich mache das gerne, und gleichzeitig ist es auch manchmal nicht leicht, oder beziehungsweise war es nicht leicht jetzt in den letzten zwei Jahren.
 
Amira El Ahl: Würdest du sagen, dass eine weibliche Perspektive auch die Arbeit des Instituts verändert oder gibt es da auch Grenzen zu einer Veränderung?
 
Gitte Zschoch: Ich weiß nicht, ob meine Einstellung oder das, was ich mir vorstelle unter "Wie soll eine Kulturinstitution heute aufgestellt sein?", ob das mit meiner Weiblichkeit begründet ist. In meiner Identität spielen viele Sachen eine Rolle, sicherlich auch meine Sozialisierung und da ist Geschlecht sicherlich ein Teil. Ich glaube, was mein Blick auf die Welt auch geprägt hat, ist, dass ich in Ländern wie in Südkorea gelebt habe oder eben im Kongo oder auch in Johannesburg, wo man ganz andere Diskurse hat, ganz anders über Privilegien, über strukturelle Benachteiligung nachdenkt. Ich komme auch aus Ostdeutschland zum Beispiel, auch da eine Sensibilität dafür zu haben, wer spricht hier eigentlich mit? Was sind wir für eine Institution, wie ist eine Institution aufgestellt? Das liegt auch an der Zeit und an unseren Diskursen, dass es gerade wichtig ist, mehr Teilhabe zu ermöglichen. Wir sind eine international arbeitende Organisation und wir wollen eigentlich zu allen Teilen der Gesellschaften sprechen. Spiegeln wir das auch in unserer Zusammensetzung wieder?
 
Amira El Ahl: Und ist das so? Wenn du zurückschaust: Ist das Haus diverser geworden oder werdet ihr diverser?
 
Gitte Zschoch: Es ist ein Prozess, das dauert auch, wir sind auf jeden Fall dran. Und gleichzeitig sind wir eben auch eine traditionelle Kulturorganisation, die einen akademischen Part hat und einen wissenschaftlichen. Wenn man sich die Wissenschaft anschaut, da gibt es ja so etwas wie sich reproduzierende Eliten und das hat man, glaube ich, auch im ifa. Ich habe mir mal gleich am Anfang eine Statistik geben lassen und man kann schon schauen, was haben die Menschen für Nationalitäten, welche Sprachen geben sie an als Muttersprache. Wir haben zum Beispiel viele Menschen, die aus Mittelosteuropa kommen oder auch aus anderen Ländern. Also das ist gar nicht so undivers, aber man sieht es nicht auf den ersten Blick. Und dann ist auch noch interessant, es gab in der DDR das Zentrum für Kunstausstellung, was auch Tourneeausstellungen organisiert hat und das hatte seinen Sitz in der Linienstraße. Wir nehmen das hier gerade auch auf in der Linienstraße. Deswegen sind wir mit der Galerie hier, weil wir vom Zentrum für Kunstausstellung einen Teil der Kunstwerke, die sie hatten, als Auftrag im Einigungsprozess mitübernommen haben und auch einige Mitarbeiterinnen. Wie schlägt sich das nieder? Haben wir in Führungspositionen zum Beispiel Menschen mit ostdeutscher Biografie? Man muss sagen, sehr wenig. Das ist eine Verantwortung, gerade mit unserer Geschichte, nicht nur diese Institution, die es jetzt nicht mehr gibt, das Zentrum für Kunstausstellung, mitzuerinnern und aber auch zu sagen, wir sprechen für beide Deutschlands, die zusammengewachsen sind.
 
Amira El Ahl: Du hast gerade von deiner persönlichen Vergangenheit gesprochen und von deiner ostdeutschen Herkunft. Wie würdest du dein Rollenverständnis sehen in deiner Position als Generalsekretärin? Eine Verantwortung habe ich da schon rausgehört, auch dafür zu sorgen, dass es diverser ist, dass alle abgebildet sind, Teil sind. Aber wie siehst du dich selber? Siehst du dich als Unterstützerin? Siehst du dich als Führungsperson, als etwas ganz anderes? Wie definierst du dich selber, und hat sich dein Selbstverständnis geändert in den zwei Jahren?
 
Gitte Zschoch: Also ich denke natürlich viel darüber nach, was es heißt, eine Leiterin von der Organisation mit ungefähr 170 Mitarbeitenden zu haben. Das ist auf jeden Fall viel Verantwortung. Was mir wichtig ist – und das haben wir jetzt als Prozess aufgesetzt, was auch eine Antwort ist auf die sich ändernden Rahmenbedingungen: Wozu gibt es uns eigentlich, was sind unsere Ziele, was unsere Vision, was unser Purpose, was unser Sinn? Und wenn ich weiß, dass alle Menschen, die das ifa machen, diese Ziele im Auge haben und die selbst verfolgen, dann ist meine Rolle eher zu moderieren und zu koordinieren und auch zu schauen, dass wir gut nach außen vertreten sind zum Beispiel. Top-down ist nicht unbedingt mein Prinzip, sondern ich wünsche mir, dass wir alle wissen, wofür wir arbeiten, und dann sehr viel Freiheit und sehr viel Empowerment auf den einzelnen Hierarchieebenen da ist. Deswegen ist Führung heute sehr viel Moderation, viel Coaching. Das sind Begriffe, die mir wichtig sind. 
 
Amira El Ahl: Und wenn du sagst, dass alle wissen, was die Vision ist, was der Purpose ist, wo es hingehen soll, du hattest ja vorhin schon mal diese drei Werte gesagt: Vertrauen, Verständnis, Empathie. Kannst du vielleicht noch ein Beispiel nennen? Das ifa ist riesig und es sind so viele Mitarbeiter, aber kannst du vielleicht nochmal erklären, wohin soll es gehen? Was ist diese Vision? Wofür arbeitet ihr? Kannst du das in einem Satz?
 
Gitte Zschoch: Für den Weltfrieden. Wenn man das wirklich mal runterbricht auf das, warum gibt es uns, dann man kann schon sagen: damit die Welt ein sichererer Ort wird. Dieses Verbindungen schaffen zwischen Menschen, Verständnis, auch die Kenntnis, wir müssen auch gucken, wie es den Menschen in Gaza geht und im Westjordanland, um nochmal auf deine erste Frage zurückzukommen. Dazu braucht man Wissen über die Welt und dazu braucht man auch eine Erfahrung, die einen aus der eigenen Bubble blicken lässt. Deswegen ist es so wichtig, internationale Verbindungen zu schaffen. Da gibt's Organisationen, die machen das mit Studierenden, dann gibt's auch die Programme, die machen das mit Auszubilden. Von der EU ist das nicht Erasmus, sondern das Leonardo Programm, glaube ich, bin ich mir jetzt nicht sicher. Aber das gibt es. Und wir machen das über Kunst und Kultur. Wir haben auch ein Programm, was sich mit ziviler Konfliktbearbeitung beschäftigt, wir gehen auch so ein bisschen raus aus der klassischen Kultur. Menschenrechtsaktivist:innen unterstützen wir auch. Deswegen ist es so wichtig. Aber wenn man das ganz runterbricht, würde ich schon sagen, es geht darum, die Welt zu einem friedlicheren Ort zu machen. Dadurch, dass das aber so groß ist und wir nicht alles machen können, sondern nur einen bestimmten Anteil abdecken mit unserem Wissen, mit unseren Expertisen, die wir im Haus haben, müssen wir das eben auch runterbrechen.
 
Amira El Ahl: Du hattest vorhin schon mal kurz angesprochen, als wir über den Globalen Süden gesprochen haben, dass eine Institution wie das ifa Geld hat. Diese Arbeit wird wertgeschätzt in Deutschland. Wenn wir mal die Finanzierung uns angucken vom ifa, ich glaube, es ist ein Dreiklang – aber korrigiere mich, wenn es falsch ist – aus Finanzierung und Förderung durch Stadt, Land und Auswärtiges Amt. Aber der Großteil wird vom Auswärtigen Amt finanziert. Du hattest es schon angesprochen. Wir haben ein großes Haushaltsloch. Überall wird gespart und auch beim Auswärtigen Amt wird gespart. Welche Vor- und welche Nachteile siehst du dadurch, dass der Großteil des Geldes vom Auswärtigen Amt kommt?
 
Gitte Zschoch: Erstmal ist es ein Privileg. Natürlich ist das Auswärtige Amt ist, die Bundesregierung, ist es letztendlich das Parlament, was das Haushaltsgesetz macht und da stehen wir auch drin. Dass das auch gesehen wird, dass unsere Arbeit wichtig ist, das ist auf jeden Fall schon mal total gut. Gleichzeitig ist das, was du sagst, das stimmt. Wir haben eine Förderung auf der Bundebene, das ist das meiste und dann kommt auch das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart hinzu, was ich auch spannend finde. Ich habe ja vorher in Brüssel gearbeitet und kenne die Kulturinstitute in den anderen europäischen Ländern. Es ist einzigartig. Da auch zu schauen, was heißt das eigentlich, wenn wir nicht nur für Deutschland in diesem Kulturaustausch tätig sind, sondern auch für eine Region – in unserem Fall ist es für ein Land und für eine Stadt. Weil die internationalen Begegnungen und Bewegungen, die nehmen zu. Und auch eine Stadt wie Stuttgart ist divers und hat schon seit vielen Jahrzehnten ganz viele Menschen, die aus anderen Ländern kommen. Was bedeutet das und wie kann man das noch stärker gestalten? Aber damit diese Klammer zu. Wir sind ein eingetragener Verein, also als Struktur unabhängig und damit auch Teil der Zivilgesellschaft. Gebunden an das Auswärtige Amt sind wir durch einen Rahmenvertrag, der festlegt, welche Aufgaben in der Außenpolitik – das Auswärtige Amt ist zuständig für Außenpolitik – wir übernehmen. Das gibt uns auch eine gewisse Sicherheit. Wir arbeiten sehr vertrauensvoll mit dem Auswärtigen Amt zusammen. At Arm-length zu sein, einen gewissen Abstand zu haben, über den Rahmenvertrag die Ausrichtung geregelt zu haben und auch über Zielvereinbarungen, das haben wir auch, wir legen gemeinsame Ziele fest. Aber durch dieses Arm-length-Prinzip können wir inhaltlich unsere Arbeit frei ausgestalten.
 
Amira El Ahl: Ich wollte grad fragen, unabhängig seid ihr schon? Ihr habt Sicherheit, aber ihr seid unabhängig?
 
Gitte Zschoch: Ja. Das ist gut, weil es erstens uns eine gewisse Expertise erlaubt und auch, diese weiterzuentwickeln, was unsere Programme gut macht. Wir sind keine Politiker:innen, wir sind auch keine Beamten, sondern wir sind Expert:innen in unserem Feld Kunst, Zivilgesellschaft, Forschung. Und gleichzeitig erhöht das unsere Glaubwürdigkeit in der Welt, weil wir nicht direkt staatliche Akteure sind. Wenn wir zum Beispiel mit Menschenrechtsaktivist:innen arbeiten, dann ist das das ausschlaggebende Kriterium, dass die mit uns arbeiten wollen. Sie sehen dann, wir stehen für Deutschland und sind aber eine eigene Institution.
 
Amira El Ahl: Lass uns mal beim AA bleiben, weil ich Folgendes interessant finde: Du als erste Frau an der Spitze von der ifa und momentan haben wir auch eine weibliche Außenministerin, Annalena Baerbock, und die setzt sich seit Beginn ihrer Amtszeit für eine feministische Außenpolitik ein. Da würde mich interessieren, wirkt sich das auch auf die auswärtige Kulturpolitik aus, und wenn ja, wie?
 
Gitte Zschoch: Im Grundsatz ist die feministische Außenpolitik eine Politik, die sich um Menschen kümmert. Es hat natürlich den Feminismus im Titel, es geht ganz stark um Frauen, aber es geht nicht nur um Frauen. Es geht um alle Menschen, die an politischen, wirtschaftlichen und sozialen und auch kulturellen, würde ich auch noch hinzufügen, Prozessen mitbeteiligt sind. Das will die feministische Außenpolitik. Das stimmt ganz stark mit dem überein, was wir tun. Bei uns geht's auch darum, Teilhabe zu ermöglichen und Menschen zusammenzubringen und da auch marginalisierte Gruppen mitzudenken. Wir haben mit "Contemporary And" eine Plattform, eine Kunstplattform, die ganz stark, als sie vor zehn Jahren gegründet wurde, Kunst aus den afrikanischen Ländern und aus der afrikanischen Diaspora und jetzt auch Lateinamerika sichtbar macht, eine Plattform bietet und dort zu einem Austausch führt. Das ist ein Beispiel für feministische Außenpolitik. Von daher ist es nicht so, dass wir jetzt komplett umdenken müssen, sondern dass wir eher noch eine zusätzliche Plattform haben, wo wir sagen können, ja, auch das, was wir machen, zahlt dafür ein. Wir haben auch schon vor vielen Jahren angefangen, in bestimmten Programmen, im Förderprogramm "zivik" zum Beispiel, wirklich Frauen zu unterstützen in den Prozessen der zivilen Konfliktebearbeitung. Was ich aber auch noch sagen wollte: Es ist aber tatsächlich so, dass die feministische Außenpolitik ganz direkt Auswirkungen hat auf unsere Arbeit. Ich finde auch richtig gut, dass Annalena Baerbock das als Maxime gesetzt hat, weil es eine gewisse Sichtbarkeit für dieses Thema gibt, dass viele Menschen mitwirken sollen an diesen außenpolitischen Prozessen. Was sie jetzt machen, um das nachhaltig zu gestalten, ist zu sagen: Wie viele von euren Projekten – der Richtwert ist rund 85 Prozent – sollen entweder gendersensibel sein oder sollen sogar gendertransformativ sein, sollen wirklich eine transformative oder Auswirkungen darauf haben, wie Frauen und andere marginalisierte Gruppen an Prozessen beteiligt sind? Das wird abgefragt und bei jeder Auszahlungsanweisung, bei jedem Betrag, den wir ausgeben, können wir jetzt angeben, inwieweit das eine gewisse Gendersensibilität oder -transformativtät mitbringt.
 
Amira El Ahl: Stößt das Konzept dann auch irgendwo an Grenzen?
 
Gitte Zschoch: Ich glaube, es hängen die Erwartungen sehr hoch, denn wenn man sich so große Ziele steckt, dann ist es klar, dass man dann auch wirklich daran gemessen wird. Dass man dann sehr einfach sagen kann, tun wir wirklich alles für die Frauen im Iran, die dort auf die Straße gehen? Nicht nur Frauen, es sind ja auch Männer. Das ist ja auch das tolle an dieser Bewegung. Tun wir da wirklich alles und ist das in der Balance zu anderen Interessen, die man auch noch haben kann, mit diesem wertegeleiteten Ansatz? Da kommt das Konzept durchaus an die Grenzen. Und trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, das zu machen. Es ist natürlich auch so, dass das nicht in allen Ländern so gesehen wird, auch ja bei uns nicht, wow, ganz toll und da steigen wir mit ein. Das ist einer der Punkte, die viel mehr kommen wird in unserer Zusammenarbeit im Internationalen, dass man erklären muss. Dass es auch nicht darum geht zu sagen, das ist jetzt das Non Plus Ultra, sondern eher, das ist jetzt unser Weg, das finden wir wichtig, und das sind die Gründe. Deutschland ist nicht unbedingt eines der Länder, was am weitesten ist, denn so eine feministische Außenpolitik muss sich auch im Innen spiegeln. Ich habe ja auch über die Transformation unseres eigenen Hauses gesprochen, mit dem eigenen Anspruch an Teilhabe und ein Abbild der Gesellschaft zu sein. Das würde ich mir dann auch wünschen für das Auswärtige Amt, dass diese Werte, die in der feministischen Außenpolitik transportiert werden sollen, auch die Arbeit des Auswärtigen Amtes selbst bestimmt, die Zusammenarbeit mit den Institutionen, die es fördert, und aber auch in Deutschland. Es gibt einfach Länder, wie zum Beispiel Ruanda, die haben eine höhere Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten als Deutschland. Und solange man nicht diesen Anspruch erweckt, bei uns ist schon alles toll, und jetzt sollen anderen toll werden, ist es okay, zu sagen, das sind jetzt gerade unsere Prioritäten und deswegen setzen wir die um. Eine Institution wie das ifa hat daran auch einen Anteil.
 
Amira El Ahl: Ich find es ganz wichtig, dass du sagst, man muss auch erst mal bei sich schauen. Weil wir, glaube ich, tendieren dazu, zu sagen, es ist doch alles schon gut, aber das ist far from.
 
Gitte Zschoch: Wer ist das Wir? Deutschland ist eine plurale Gesellschaft und es gibt sicherlich Teile in der Gesellschaft, wo wir als Deutschland schon ein bisschen weiter sind und andere eben nicht. Ein bisschen weiterwegzurücken, das passiert jetzt auch mit den globalen Auseinandersetzungen, die wir haben. Dass es eben auch andere Meinungen gibt, auch im Government to Government, also im zwischenstaatlichen Zusammenspiel, und auch zu sehen, dass andere Länder ihren Standpunkt mit viel mehr Selbstbewusstsein vertreten, das ist, glaube ich, neu für Menschen, die in der Politik tätig sind. In der Kultur und in unserem Arbeitsbereich hören wir gut zu, was unsere Partnerinnen und Partner beschäftigt. Deswegen ist es für mich persönlich jetzt nicht neu, dass man in Korea oder im Kongo die Dinge anders sieht oder in Südafrika als hier in Deutschland. Aber ich glaube, für einen Mainstream oder für eine Gesellschaft oder für die Medien, für unsere Politikerinnen und Politiker ist das vielleicht schon ein bisschen neuer als für andere. Das fühlt sich natürlich erst mal komisch an. Jetzt reden ganz viele mit und letztendlich ist es eine gute Entwicklung, weil es uns als Weltgemeinschaft näherbringt. Gleichzeitig ist es ein bisschen schwer auszuhalten vielleicht und da muss man einen Umgang damit lernen.
 
Amira El Ahl: Macht Dinge auch komplexer und komplizierter.
 
Gitte Zschoch: Genau, macht es komplexer. Einmal diese Erfahrung gemacht zu haben, dass eine Haltung da auch wichtig ist, zuzuhören und gemeinsam dann weiterzugehen.
 
Amira El Ahl: Zum Schluss würde ich ganz gerne noch auf ein Thema kommen, das wahrscheinlich auch die Arbeitsprozesse des ifa ganz unmittelbar betrifft, nämlich die digitale Zivilgesellschaft. Was bedeutet die voranschreitende Digitalisierung? Langsam wird ja auch Deutschland digitaler, dauert auch länger als in anderen Ländern. Da denkt man ja auch manchmal, wir sind hier noch im Mittelalter. Während man in anderen Ländern in Afrika überall Internet-Connection hat, hat man das hier nicht unbedingt. Also wir werden langsam auch digitaler, zum Glück. Was bedeutet das für eine Mittlerorganisation wie ifa? Werden jetzt nur Ausstellungen digitaler? Ihr hattet ja auch gerade eine digitale Ausstellung. Oder gibt's da tiefgreifendere Auswirkungen bei euch? Also verändern sich Arbeitsprozesse komplett?
 
Gitte Zschoch: Da liegt eine große Chance. Das ist jetzt auch ein Allgemeinplatz. Aber was wir merken, was ja auch durch Corona ganz stark befördert wurde, ist, dass man auch in den internationalen Austausch gehen kann mit digitalen Mitteln. Dass viele von unseren Programmen remote werden. Ich hatte gerade das "CrossCulture Programm" erwähnt. Die haben eine Community jetzt über die Jahre von 1100 Leuten weltweit aufgebaut, die an diesem Programm teilgenommen haben. Die kommen aus den verschiedensten Ländern der Welt, und die Alumni Arbeit ist auch super stark. Da geht total viel Energie und Aufwand von unseren Kolleg:innen rein. Da haben wir jetzt eine Plattform geschaffen, um einen sicheren Austausch im digitalen Raum zu schaffen, Stichwort Digital Civil Society und dekoloniales Internet. Das ist auch ein Thema, denn wer macht die Regeln in unserem digitalen Austausch? Da andere Stimmen größer zu machen, ist wichtig, und da haben wir jetzt eben eine Plattform, die diesen Austausch auch ermöglicht im sicheren Rahmen. Das ist total wichtig, auch wenn ich über die Schutzprogramme spreche. Künstler:innen, die in ihren Ländern verfolgt werden, die müssen sicher kommunizieren können. Deswegen ist da Digitales wichtig und verändert auch unsere Arbeit und auch dieses Bewusstsein von Schutz, Sicherheit, im digitalen Raum.
 
Amira El Ahl: Also gerade in diesen illiberalen Kontexten. Das ist es besonders wichtig.
 
Gitte Zschoch: Genau, da braucht es auch eine hohe Sensibilität von unserer Seite. "ARE YOU FOR REAL" ist ein Projekt, was wir gemacht haben, was Künstler:innen eingeladen hat, digitale Kunst zu entwickeln. Da ist gerade, was aus den afrikanischen Ländern kommt, super viel Innovation und Kreativität vorhanden. Da nochmal ein bisschen stärker reinzugehen, das wäre so ein Wunsch.
 
Amira El Ahl: Am Ende würde ich ganz gerne noch eine Frage aus unserer Community stellen, die an dich gerichtet wurde. Und zwar: Mit wem würdest du gerne mal Mittagessen und warum?
 
Gitte Zschoch: Sehr gute Frage! Ich würde mich für Barack Obama entscheiden. Erstens, glaube ich, ist er ein super inspirierender Mensch. Er hat für die Schwarze Community weltweit super viel erreicht. Als ich im Kongo war, gab es überall Plastikbeutel mit dem Obama-Konterfei. Was er an Repräsentanz, an Sichtbarkeit, an was ist möglich für ein Leben, geschafft hat, finde ich Wahnsinn! Dann hat er auch ein gutes Verständnis von Kultur in der Außenpolitik. Er hat ja auch diesen Podcast mit Bruce Springsteen und versteht gut, was Kultur für das Verbindungsschaffen, für etwas Positives bedeutet. Uns geht es ja nicht um ein positives Deutschlandbild in unserer Arbeit oder ein Länderbild, sondern um ein ausgewogenes. Aber er hat ein Verständnis, was ich gut finde. Und außerdem setzt er sich jetzt mit der Obama Foundation auch für Werte ein, die ich teile. Deswegen würde ich gerne ein Projekt mit ihm entwickeln und glaube, dass das ein super spannendes Mittagessen wäre, was auch sehr unterhaltsam wäre.
 
Amira El Ahl: Vielleicht hört er ja zu und nimmt die Einladung an.
 
Gitte Zschoch: Barack, you know how to reach me.
 
Amira El Ahl: Danke. Das sagt Gitte Zschoch, die Generalsekretärin des Instituts für Auslandsbeziehungen. Danke, dass du dir Zeit genommen hast und für das Gespräch.
 
Gitte Zschoch: Danke von meiner Seite, hat mir Spaß gemacht.
 
Amira El Ahl: Mir auch. Und das war's mit dieser Episode von „Die Kulturmittler:innen“. Falls Sie es noch nicht getan haben, dann abonnieren Sie gerne unseren Podcast. Das geht überall dort, wo es gute Podcasts gibt, zum Beispiel bei Deezer, Apple Podcasts oder Spotify. Dort finden Sie auch über 60 Folgen von den Kulturmittler:innen, zum Beispiel über feministische Außenpolitik oder Friedens- und Sicherheitspolitik. Und wenn Sie schon einmal da sind, dann geben Sie uns doch gerne eine Bewertung. Das würde uns sehr freuen. Noch mehr Informationen zum Institut für Auslandsbeziehungen gibt es auf unserer Webseite www.ifa.de und unseren Social-Media-Kanälen, zum Beispiel auf Instagram unter @ifa.de und auf LinkedIn als ifa (Institut für Auslandsbeziehungen). Sollten Sie Fragen oder Hinweise zu den Kulturmittler:innen haben, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcast(at)ifa.de. Damit verabschiede ich mich. Mein Name ist Amira El Ahl. Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal. 

Kontakt

Sie haben Themenwünsche, Lob und Kritik?

Podcast-Team

Charlottenplatz 17
D-70173 Stuttgart

E-Mail: podcast@ifa.de