Was geschieht, wenn Klänge aus der Vergangenheit die Gegenwart berühren?
Dieser Frage widmet sich die ifa-Galerie Stuttgart mit dem Projekt Resonaciones. Für die Präsentation in der ifa-Galerie Stuttgart haben die beiden chilenischen Künstlerinnen Nicole L'Huillier und Francisca Gili Pfeifgefäße der Moche-Kultur aus den Anden wieder zum Klingen gebracht, die sich im Bestand des Linden-Museums befinden. In der Moche-Kultur spielten Klang und Töne eine wichtige Rolle und die beiden Künstlerinnen verbinden die jahrtausendealte Technologie der Pfeifgefäße aus den Anden mit heutigen Technologien wie der Künstlichen Intelligenz (KI). Das Projekt will einen Impuls geben, Fragen über die koloniale Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft neu zu stellen.
Resonaciones begann mit einem Besuch der Künstlerinnen in der Sammlung des Linden-Museums in Stuttgart im Juni 2023. Die Pfeifgefäße des Linden-Museums kamen Anfang des 20. Jahrhunderts in die Sammlung. Die Moche, die zwischen 200 und 900 n. Chr. an der Wüstenküste im Norden von Perus lebten, schufen eine Kultur, in der Klang und Klanglichkeit zentral waren. Instrumenten wie den Pfeifgefäßen wurde die Fähigkeit zugeschrieben, mit nicht-menschlichen Wesen zu kommunizieren, da sie Klänge erzeugten, die vom menschlichen Ohr als unangenehm empfunden wurden. Obwohl sie in vielen Museumssammlungen auf der ganzen Welt zu finden sind, ist nur sehr wenig über das Wesen und die Symbolik dieser klangerzeugenden Objekte bekannt.
Sechs Moche-Pfeifgefäße aus dem Bestand der Sammlung wurden für das Projekt unter Anleitung von Karen Urcia Arroyo, einer Heilerin und Kulturaktivistin der Mochica-Kultur durch Gesang, den eigenen Atem und Berührungen wieder zum Klingen gebracht. Daran knüpft der Titel des Projektes "Un abrazo para despertar – Eine Umarmung zum Erwachen" an. Die Begegnung mit den Objekten und ihre Reaktivierung war für Karen Urcia gleichzeitig eine Begegnung mit den Ahnen der Moche und ihren Geschichten, Erinnerungen und Energien. Die Töne und Klänge der Pfeifgefäße haben die beiden Künstlerinnen Nicole L'Huillier und Francisca Gili dabei mit Kontaktmikrofonen und Antennen aufgezeichnet und in ihre künstlerische Arbeit eingebunden.
In der Ausstellung verbinden sich Sound-Systeme, neue Tonskulpturen, Zeichnungen und Prints zu einer immersiven Klanglandschaft. Diese Klanglandschaft ist ein lebendiges und sich ständig veränderndes Archiv, das von einer KI gesteuert wird, in die immer wieder neue Töne eingespeist werden und die daraus wiederum neue Tonerfahrungen entwickelt. Die Töne und Klänge stammen aus unterschiedlichen Zeiten und von verschiedenen Orten: Es sind die Geräusche der jahrhundertealten Pfeifgefäße, die Schwingungen von Erdbeben, das Geräusch fließenden Wassers sowie die Stimmen der Besuchenden. Unser Verständnis von Zeit und Existenz wird so als etwas Dynamisches empfunden, das sich gegenseitig beeinflusst (nach Karen Barad intra-accion) und als Grundlage alles Seins verstanden wird.
Die Klanglandschaft in der ifa-Galerie Stuttgart begleitet ein Dokumentationsraum, der Bild- und Videomaterial vom Moment der ersten Begegnung mit den Pfeifgefäßen im Linden-Museum sowie von den Prozessen der Aktivierung und Aufzeichnung zeigt.
Resonaciones ist eine Zusammenarbeit mit dem Linden-Museum Stuttgart und mit der 16. Bienal de Artes Mediales Santiago de Chile.
Die Ausstellung ist außerdem Teil des Jahresprogramm 2023 der beiden Galerien des ifa – Institut für Auslandsbeziehungen, in dem die Galerien Ausstellungen in Berlin und Stuttgart zu den Themen Sound und Erde miteinander verschränken. Für die Stuttgarter ifa-Galerie ist das die letzte Ausstellung im Rahmen des diesjährigen Jahresprogramms.
Künstlerisches und kuratorisches Ensemble:
Nicole L’Huillier (Künstlerin), Francisca Gili (Künstlerin und Anthropologin), Carolina Arévalo (Kuratorin), Bettina Korintenberg (Kuratorin)
Unter Leitung von Karen Urcia Arroyo (Mochica-Heilerin und Kulturaktivistin)
Mit Beiträgen von Gabriel Rossell Santillán (Künstler), Luis A. Muro Ynoñán (Archäologe), Manaswi Mishra (Künstler und Wissenschaftler)
In Zusammenarbeit mit der Bienal de Artes Mediales, Santiago de Chile
Kooperationspartner: Linden-Museum Stuttgart
Über die Künstlerinnen und Kuratorinnen
Eröffnung
16. November 2023, 19:00 Uhr
Sound Waves: Transoceanic Invocations
Zusammenkommen mit Klängen im ifa-Innenhof
Kurze Einführung in die Ausstellung in der ifa-Galerie durch die Kuratorinnen und Künstlerinnen
DJ-Set, 20:30 Uhr
FLAVE
Theory (LAFmusik)
Expanded Ontologies
Lecture-Performance mit Francisca Gili, Nicole L’Huillier, Karen Urcia
in englischer Sprache
Samstag, 18. November 2023, 19:00 Uhr
Linden Museum Stuttgart
Im Rahmen einer Lecture-Performance geben die beiden Künstlerinnen Francisca Gili und Nicole L’Huillier Einblicke in ihre experimentellen künstlerischen Ansätze, mittels deren Klangfrequenzen und Lebensspuren dieser Tonwesen reaktiviert und aufgenommen wurden.
Field Notes of the Planetary: Waterscapes
Filmvorführung
Rose Lowder, La Source de la Loire, 16mm, 2021, 19 min
Arthur und Corinne Cantrill, Waterfall, 16mm, 1984, 17 min
Samstag, 20. Januar 2024, 17:00–18:30 Uhr
Im Zentrum der diesjährigen Ausgabe von Field Notes of the Planetary steht der Begriff „Waterscapes“: Die 16mm-Projektion La Source de la Loire (2021) der französisch-peruanischen Künstlerin Rose Lowder widmet sich dem Flusslauf und der Quelle der Loire. Daran anschließend wird eine äußerst seltene 16mm-Kopie des Experimentalfilms Waterfall (1984) von Arthur und Corinne Cantrill aufgeführt, die einen hypnotischen Raum über die sich wandelnden Bewegungen des Wassers entwirft.
Mit anschließendem offenem Gespräch in der Ausstellung mit Florian Fischer (Filmkurator) und Bettina Korintenberg (Ausstellungskuratorin)
In Zusammenarbeit mit dem 37. Stuttgarter Filmwinter
Healing, Decoloniality and Relational Aesthesis
Englischsprachiger Vortrag von Rolando Vázquez
Freitag, 09. Februar 2024, 18:30–19:00 Uhr
Davor findet eine Listening Session mit Nicole L’Huillier statt, 17-18 Uhr
Vortrag zu dekolonialer Kunstpraxis, die sich mit den Welten beschäftigt, die zum Schweigen gebracht wurden und die sie in die Gegenwart der Erinnerung zurückbringt, ihr Schweigen und ihre Stimmen wieder präsent macht.
Listening Session
Freitag, 09. Februar 2024, 17:00-18:00 Uhr mit Nicole L’Huillier
Listening Session, bei der ein KI-System Klänge von alten Pfeifgefäßen mit den Geräuschen von Erdbebendaten aus den Anden, lokalen Flussläufen, den Stimmen von Besuchenden und anderen Klanggeweben als Imaginationen zusammenbringt und neue Hörerfahrungen erzeugt.
Das ifa – Institut für Auslandsbeziehungen setzt sich als Mittler und Akteur mit seinen Netzwerken, Projekten und seiner Forschung weltweit für die Freiheit in Kunst, Zivilgesellschaft und Wissenschaft ein. Es schafft analoge und digitale Räume für Begegnung, Austausch, Aushandlung und Ko-Kreation. Das ifa fördert den Kunst- und Kulturaustausch in Ausstellungs-, Dialog- und Konferenzprogrammen und agiert als Kompetenzzentrum der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Es ist weltweit vernetzt und setzt auf langfristige, partnerschaftliche Zusammenarbeit. Das ifa wird gefördert vom Auswärtigen Amt, dem Land Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart.
Die Galerien des ifa – Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und Berlin zeigen zeitgenössische Kunst aus einer globalen Perspektive. Postkoloniale Bewegungen werden ebenso in den Blick genommen wie künstlerische Reflexionen zu den Themen Migration, Umwelt und kulturelle Transfers. Die Welt aus einer Vielfalt und Pluralität von Perspektiven zu betrachten und neu zu erzählen, ist dabei zu einer Arbeitsweise geworden, mit der die ifa-Galerien emanzipatorische Prozesse, Interaktionen und künstlerische Räume gestalten. Im Zentrum steht dabei die Entwicklung von langfristigen Beziehungen mit Künstler:innen, Partner:innen und Besucher:innen. Die Ausstellungen und Vermittlungsprogramme entstehen in einer gemeinschaftlichen Arbeitsweise, in der globale Verflechtungen aufgespürt und in einer anderen Erzählweise neu zusammengesetzt werden.
Kontakt und Öffnungszeiten
ifa-Galerie Stuttgart