Amira El Ahl:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von "Die Kulturmittler:innen", dem ifa-Podcast zur auswärtigen Kulturpolitik. Mein Name ist Amira El Ahl und ich freue mich sehr, dass Sie bei dieser Episode wieder mit dabei sind. Im Februar 2025 jährt sich nun zum dritten Mal der Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine. Für Ukrainerinnen und Ukrainer ist seitdem nichts mehr wie vorher. Ihre Realität ist seitdem, dass ihr Zuhause zerstört wird, Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder verletzt wurden, gestorben oder geflohen sind. Alles, was Heimat bedeutet, Sprache, Architektur, Kunst und Kultur, droht ausgelöscht zu werden.
Das alles kann sehr niederschmetternd sein, doch wie sich nach dem Beginn des Krieges schon gezeigt hat, existiert ein unbändiger Wille der Ukrainerinnen und Ukrainer, die eigene Identität zu schützen. Um diese Frage, wie sich Kultur in Kriegszeiten erhalten lässt, geht es in unserem heutigen Gespräch. Zu Gast im Podcast ist Kateryna Rietz-Rakul. Sie leitet seit März 2023 das ukrainische Institut in Berlin und setzt sich für die Sichtbarkeit ukrainischer Stimmen in Zeiten von Krieg und Exil ein. Kateryna Rietz-Rakul ist in Lviv in der Ukraine geboren, gründete unter anderem die NGO Kultura e.V., mit der die internationale Zusammenarbeit zwischen Kreativen aus der Ukraine und anderen Ländern gefördert wird. Sie ist studierte Anglistin und Amerikanistin und arbeitet unter anderem auch als Dolmetscherin, Übersetzerin, Autorin und Kulturmanagerin und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Ich freue mich ganz besonders, dass du heute bei uns im Podcast dabei bist. Herzlich willkommen bei den Kulturmittler:innen Kateryna Rietz-Rakul.
Kateryna Rietz-Rakul:
Danke, liebe Amira. Es freut mich sehr, dass ihr mich zu diesem Gespräch eingeladen habt.
Amira El Ahl:
Ja, sehr gern und du bist, glaube ich, auch die perfekte Gesprächspartnerin für dieses Thema. Bevor wir einsteigen, lass uns mal schauen auf die letzten drei Jahre. Trotz der Belastungen, der Entbehrungen und der Not in der Ukraine hören die Menschen ja nicht auf, für ihr Land und ihre Identität zu kämpfen. An der Front, aber auch aus dem Exil heraus und das Ukrainische Institut in Deutschland, das du ja leitest, leistet seinen Teil dazu. Über die Aufgabe der Kulturerhaltung werden wir heute sprechen und darüber, wie das Institut konkret arbeitet. Aber zunächst mal die Frage an dich. Der Krieg dauert jetzt schon fast drei Jahre und ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung lebt seither im Ausland. Allein in Deutschland sind derzeit rund 1,24 Millionen ukrainische Flüchtlinge registriert. Kulturelle Monumente in der Ukraine werden durch den Krieg täglich zerstört. Kirchen, Museen, Theater und Strukturen für Kulturarbeit lahmgelegt. Das macht es alles besonders schwer, Kultur aufrechtzuerhalten. Woran merkt man ganz konkret, woran merkst du ganz konkret, dass die Kultur in der Ukraine zurzeit bedroht ist und Schutz braucht?
Kateryna Rietz-Rakul:
Weißt du, ich denke da tatsächlich in erster Linie immer an die Menschen. Ich werde heute ein Gespräch moderieren mit einer Autorin, die sich gerade an der Front befindet. Sie leitet eigentlich schon seit sie 22 war eine Truppe. Also sie ist seit 2014, 2014 für sie ist der Krieg begonnen und seit 2016 war sie an der Front.
Amira El Ahl:
Also 2014 nochmal zur Erklärung, der Einmarsch der russischen Truppen auf der Krim und die Besetzung der Krim, ja?
Kateryna Rietz-Rakul:
Die Besetzung der Krim und auch der Einmarsch der russischen Truppen in Donbass und Luhansk-Regionen. Das war 2014 und eigentlich war das der Anfang des Krieges. Und ich bestehe auch immer darauf, dass wir das so sagen, denn ansonsten sind tausende Menschen, die Leben verloren haben, Gesundheit oder Wohnungen oder Häuser verloren haben in diesen Jahren vor 2022. An die müssen wir auch denken, wir sollen das nicht vergessen. Deren Opfern dürfen nicht umsonst sein. Deshalb sagen wir immer, der Krieg fing schon bereits 2014 an. Und warum ich das erzähle, heute moderiere ich eben ein Gespräch mit einer Autorin, mit einer Aktivistin, die sich an der Front befindet, seit 2016 mit einer Unterbrechung dazwischen. Aber meine Sorge ist, weißt du… sie wird sich zuschalten heute von der Front. Und das kann natürlich sein, dass sie sich nicht zuschaltet. Und ich bin glücklich, wenn sie sich nicht zuschaltet wegen technischen Problemen. Aber es kann auch Schlimmeres passieren. Und das ist die Realität für mich, dass meine Kolleginnen, meine Freundinnen oder Bekannte oder unbekannte Kulturschaffende einfach nicht überleben. Oder so gebrochen sind, physisch oder psychisch, dass sie nachträglich leiden und dann nicht mehr dieselben sind wie früher. Ich finde, das ist etwas, was man überhaupt nicht ersetzen kann. Das sind die Menschen. Das ist das Wichtigste. Aber, sorry, dass ich länger spreche. Das ist das Wichtigste. Jedoch müssen wir sagen, dass am meisten leiden heutzutage Bibliotheken und Museen, vor allem Bibliotheken und Museen in okkupierten Territorien. Das war ja schon tatsächlich im okkupierten Luhansk und Donetsk-Gebieten, dass da ukrainische Bücher verbrannt wurden, die ukrainischen Museen geplündert wurden. Und das geht ja so weiter. Ja, also zum Beispiel auch Theater und Film haben das Problem, dass sehr viele Schauspieler:innen und Kameraleute an der Front sind. Und auch wenn du etwas produzieren willst, ist das schwierig, weil die Menschen nicht da sind.
Amira El Ahl:
Du hast absolut recht. Die Menschen sind erst mal das Allerwichtigste. Und genau was du sagst, es sind einfach viele an der Front, seien es Schriftsteller, Schauspieler, Kameraleute und die fehlen. Und was du jetzt sagtest zu den Bibliotheken und den Museen, vielleicht kann man da noch so ein paar Zahlen dazugeben. Also die UNESCO hat, glaube ich, bis zum 7. Februar 2024, das ist jetzt schon ein Jahr her, aber da gibt es Zahlen, dass sie Schäden an 342 Städten festgestellt haben, was die anhaltenden Auswirkungen des Krieges auf das kulturelle Erbe des Landes verdeutlicht. Ja, also das sind 127 religiöse Stätten, also Kirchen, dann 150 Gebäude von historischem und künstlerischem Interesse, 31 Museen, 19 Denkmäler, 14 Bibliotheken und ein Archiv. Das sind sicherlich heute noch mal viel mehr. Aber das zeigt ja, wie dramatisch die Situation ist auf dieser Ebene, aber eben auch, was du sagst, mit den Menschen, die einfach sterben an der Front und wo ja ein ganzes, wo sozusagen dieses kulturelle Wissen auch einfach verschwindet. Weil Menschen, wie du sagst, auch einfach, auch wenn sie zurückkommen von der Front, nicht mehr dieselben sind. Und unter diesen Bedingungen kann man sich ja von außen einen normalen Kulturbetrieb ja auch total schwer vorstellen. Und trotzdem findet ja in der Ukraine weiterhin Kultur statt. Es gibt ein kulturelles Leben, was… also ich finde das faszinierend. Wie gelingt es denn in dieser Zeit, die Kultur trotzdem aufrecht zu halten, trotz all dieser Schrecken?
Kateryna Rietz-Rakul:
Also ich finde es erstaunlich, dass ich jedes Mal, wenn ich in der Ukraine bin, gibt es neue Buchläden. Nicht nur schließen die alten nicht. Es entstehen neue und die sind voll. Voll mit Menschen, voll mit Büchern. Ich habe noch nie Bücher gekauft ohne Schlange. Also auch wenn es ein oder zwei Menschen vor mir sind in einem mini kleinen Buchladen. Ich habe noch nie sofort an die Kasse gehen können. Das ist erstaunlich. Und dann die Ausstellungen gehen weiter, auch wenn es manchmal sehr komische Öffnungszeiten sind wegen Blackouts. Dann kann man sich sagen, wir sind heute nur um 10:30 bis 12 Uhr geöffnet und dann später 16:15 bis 17:40 Uhr. Und auch dann kommen die Menschen. Oder die Menschen kommen und gucken sich das an. Und ist auch meine Erfahrung, wir haben uns die Ausstellung mit Handylichtern angeschaut, weil Elektrizität auf einmal aus war in Kiew im Nationalmuseum. Kultur ist gefragt. Die Soldatinnen und Soldaten schreiben sehr viel Poesie. Es ist eine poetische Renaissance, die jetzt gerade stattfindet in der Ukraine. Ich glaube, Poesie ist die beste Form zum Ausdruck der Emotionen, der überwältigenden Tatsachen. Das ist eine kurze, emotionale, prägnante Form des Ausdrucks. Deshalb denke ich viel Poesie. Es werden viele neue Bücher herausgegeben und gekauft.
Ukraine lesen viel mehr eigene Autoren. Es besteht eine große Anfrage, die Klassik neu zu entdecken, aber auch die neue zeitgenössische Autor:innen zu lesen. Man sucht Halt in der Kultur. Du hast ja gesagt, die Identität zu schützen. Und das ist die Kultur, weil was ist das sonst? Wenn wir Kultur im breiteren Sinne verstehen mit Essen. Es gibt zum Beispiel auch einen interessanten Trend, das ukrainische Essen wieder zu entdecken. Weil, wir waren ja lange unter sowjetischer Besatzung. Das ganze Riesenimperium hatte nur drei Gerichte. Von der Ukraine geklaute Borschtsch, von Georgien geklaute Schaschlik und Salate aus Kartoffeln, Karotten und Mayonnaise in verschiedenen Formen.
Amira El Ahl:
Köstlich.
Kateryna Rietz-Rakul:
Und jetzt entdecken die Ukrainer so traditionelle Gerichte von denen wieder. Es gibt Bücher dazu, es gibt Kochshows dazu, es gibt Köche, die Superstars sind, weil sie die ukrainische Küche wieder an das Volk bringen.
Amira El Ahl:
Das ist interessant, weil diese Abkehr von dem Russischen, da hast du auch drüber geschrieben, in der Kultur, was eben Schriftsteller angeht, wo du gerade sagst, diese Renaissance, dieses Wiederentdecken der eigenen Identität und Kultur und auch diese poetische Renaissance. Finde ich wahnsinnig spannend, was du sagst. Aber wo glaubst du denn, das ist ja erstmal eine Ausnahmesituation, drei Jahre Krieg mit so viel Zerstörung, wo kommt dieser Wille her, dieser Wille gerade eben auch diese kulturelle Identität so sehr zu schützen und auch wieder zu entdecken?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ukrainer sind so ein lustiges Völkchen, finde ich. Wenn man Ukrainer in Ruhe lässt, dann leben die einfach ruhig und teilweise vegetieren für sich hin, teilweise entwickeln sie sich prächtig, also unterschiedlich wie jede normale Gesellschaft. Aber wenn man… und die Ukrainer sind auch was, ich finde, das ist auch so die Stärke und ich denke, das kommt auch ein bisschen daher, dieser Wille. Ukrainer sind sehr anarchistisch verankert, also Ukrainer erkennen keine Führung an. Ja, also auch wenn ein Präsident jetzt mit 70% gewinnt, in zwei Monaten kriegt er nur noch Shitstorm. Und man kämpft sozusagen immer für sich, also nicht für sich alleine, aber du kämpfst nicht für so abstrakte Werte. Du hast das Gefühl, du kämpfst für dein Überleben, für deine Familie, für deine Freunde, für deinen Fleckchen Erde. Und das ist deins. Das ist nicht so abstrakte Heimat, Vaterland, was Großes. Du hast das Gefühl, das gehört dir. Und du trägst die Verantwortung dafür. Zum Beispiel in Deutschland, wenn eine Glühbirne kaputt geht im Flur, was machst du? Du rufst Hausverwaltung. Ich auch, ich rufe Hausverwaltung. In der Ukraine, wenn Glühbirne im Flur kaputt geht, kaufe ich eine Glühbirne und wechsle die.
Ich rufe nicht die Hausverwaltung. Wobei, weißt du warum? Und genau so ist das. Du verstehst, wenn du das nicht machst, macht das keiner für dich. Du musst das einfach machen. Ich denke, das ist vielleicht so ein bisschen die Mentalität dahinter.
Amira El Ahl:
Das ist interessant. Meinst du, es gibt, also jetzt sind wir im Ausnahmezustand, oder ist die Ukraine im Ausnahmezustand? Und es ist sozusagen, man versucht Dinge aufrecht zu erhalten, gerade was die Kultur angeht. Aber gibt es denn schon Ideen und Konzepte, wie Kultur wieder aufgebaut und belebt werden kann, gerade mit den ganzen Zerstörungen, die wir vorhin auch angesprochen haben, nach dem Krieg? Und welche Rolle spielt das in der Politik derzeit? Spielt das überhaupt eine Rolle?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ich denke, ja, es spielt eine Rolle. Und es gibt Ideen und es gibt viele Initiativen und Projekte, die sich damit befassen. Und teilweise ist wie der Aufbau schon jetzt begonnen, wo der Krieg leider noch andauert. Wir haben auch zum Beispiel eine große Konferenz hier veranstaltet mit der OBMIN Foundation. Das sind unsere polnischen Partner. Die arbeiten sehr viel mit ukrainischen Museen. Und letzten Mai haben wir über 100 ukrainische Museen hier nach Deutschland gebracht für eine Konferenz. Und die haben darüber beraten, wie soll man wieder aufbauen. Und dann haben die darüber gesagt, "we don't want to build back, we want to build forward." Also man darf ja nicht so aufbauen, wie es war. Das war ja so sowjetisch geprägt. Also das war nicht inklusiv, das war nicht gut gemanagt. Das muss jetzt alles anders sein. Also diese Digitalisierung zum Beispiel, die in der Ukraine sehr fortgeschritten ist. Ukraine ist global Nummer 5 in Digitalisierung, übrigens.
Amira El Ahl:
Interessant.
Kateryna Rietz-Rakul:
Während des Krieges sogar aufgestiegen. Aber diese Digitalisierung zum Beispiel, die betrifft auch sehr stark die Kulturszene, weil jetzt war ein großes Problem der Ukraine, dass die Kollektionen nicht gut dokumentiert und digitalisiert waren. Das ist zum Beispiel ein Strang, was sehr stark entwickelt wird. Dann gibt es viele Projekte für Städteaufbau und natürlich auf moderne Art und Weise beinhalten, die die Kultureinrichtungen, die eingebaut werden in die urbane Fläche. Es gibt viele Kulturinitiativen, die sich damit beschäftigen, dass die Gesellschaft sich immer weiter spaltet gerade. Also diese erste Zeit der Vollinvasion, das hat alle zusammengeschweißt. Aber unter diesem enormen Druck kommen immer mehr Cracks in die Materie des Volkes, wenn man das so sagen darf. Weil alle sind durchgehend von Survivor Guilt geplagt. Und jeder anders. In Kiew im Vergleich zu Kharkiv ist es leichter. Aber in Lviv ist es leichter im Vergleich zu Kiew. In Berlin ist es noch leichter im Vergleich zu allen anderen. Aber jemand ist auch an der Front. Das ist noch schlimmer als in Kharkiv. Und jemand hat jemanden verloren. Also weißt du, diese Gerade an Leiden, die sind unterschiedlich irgendwie. Und es ist schwierig. Jemand ist ausgewandert und macht Karriere. Weißt du, die Künstler, die hier sind, die machen Karriere. Und die Künstler, die dort sind, gehen an die Front. Man muss die dann wieder zusammenbringen können. Und wir machen uns jetzt schon Gedanken, wie soll das denn passieren.
Amira El Ahl:
Ja, diese Spaltung ist ja auch ein Ziel dieses Angriffskriegs.
Kateryna Rietz-Rakul:
Ja.
Amira El Ahl:
Ich würde… Susann Worschech, sagt dir vielleicht auch was, die Sozialwissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt, die 2023 bei uns in einer Sonderfolge zur Ukraine auch zu Gast war, hier im Podcast, die hat in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung gesagt, und ich zitiere, "Kunst und Kultur spielten in der Ukraine, ähnlich wie die Zivilgesellschaft, eine ganz entscheidende Rolle bei der Unabhängigkeit und Demokratisierung des Landes." Würdest du dem zustimmen?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ja, auf jeden Fall.
Amira El Ahl:
Und warum ist das so?
Kateryna Rietz-Rakul:
Es ist interessant. Auf dem Maidan zum Beispiel gab es so eine Maidan-Universität, wo Leute for free Kurse gegeben haben, in allem möglichen, Gesang, in Englisch, ökonomische Theorie. Es gab eine Bühne, wo man auftreten könnte mit Musik oder Lesung. Ich glaube, das hat auch tatsächlich mit dieser Identität zu tun. Weißt du, wenn du dein Land aufbauen willst, dein Land, mit deiner Identität, deiner Sprache, deiner Literatur, deinem Essen, deine Kunst, dann weißt du, warum bin ich als Ukrainer denn anders als meine deutschen Kollegen. Wir sind ja beide Menschen, beide Frauen, beide ähnliche, sogar an der Uni studiert. Und das Einzige, was uns unterscheidet, also muss uns nicht trennen, aber unterscheidet uns, unser kultureller Background, was wir gelesen haben, was unsere Muttersprache ist, wie unser Weltbild von unserer Muttersprache zum Beispiel und unserer Literatur geprägt wurde. Das ist einfach wichtig. Du kannst dich nicht und das war die Abgrenzung von Russen. War denn das? Und vor allem kommt dann dieses Trotzige, weil Russland, solange es Russland gibt, nachdem der Krieg in Russland aufgehört hat zu existieren, und die Ukraine hat aufgehört, ein Imperium zu sein, gab es diesen Konflikt mit Moskowien und seitdem hat Moskowien versucht, die ukrainische Identität zu zerstören. Es war ja in den 300 Jahren vor heute, war die ukrainische Sprache über hundertmal verboten durch verschiedene Erlasse, Gesetze und etc. aus dem russischen Imperium. Russland bekämpft die ukrainische Sprache, ukrainische Identität, ukrainische Bildung, bekämpft oder klaut oder aneignet die ukrainische Kunst und natürlich als Trotzreaktion kommt dann dieser Wille, das zu behalten, zu schützen und wiederzuentdecken.
Amira El Ahl:
Also würdest du auch sagen, dass die Kulturförderung unter den derzeitigen Umständen eine Form von Widerstand gegen die russischen Territorialansprüche sind?
Kateryna Rietz-Rakul:
Absolut. Ja, absolut, du hast absolut recht. Und weißt du, was mir auch eingefallen ist? Vielleicht etwas, was man hier in Deutschland nicht denkt, dadurch, dass in der ukrainischen Armee jetzt ein fester Bestandteil der Gesellschaft geworden ist und sehr viele Kulturschaffende und Aktivistinnen aus der Zivilgesellschaft jetzt in der Armee sind. Die Linke, die Anarchisten, alle, alle sind jetzt in der Armee, die reformieren die Armee. Und die Armee, und zum Beispiel es gibt eine sehr starke Bewegung von LGBTQ+, Soldatinnen, die dafür kämpfen, gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen in der Ukraine, was noch nicht passiert ist. Weil es für die einfach existenziell wichtig ist, dass der Partner oder die Partnerin Rechte hat. Und auf einmal ist die Armee nicht so diese reaktionäre, paternalistische, patriarchalische, dunkle Gesellschaft, sondern etwas, was lebt und sich verändert und auch Fortschritt mittreiben möchte, sozialen Fortschritt. Das finde ich auch sehr eigentlich ungewöhnlich für unsere, für diese Schablonen, in denen wir normalerweise denken.
Amira El Ahl:
Ja, absolut, und es steht natürlich auch diametral, dem entgegen was Russland vertritt und auch darstellt. Lass uns mal zum ukrainischen Institut kommen, für das du ja arbeitest und in Berlin leitest. Das richtet sich an ein deutsches und internationales Publikum, aber auch an die ukrainische Zivilgesellschaft, von der wir ja gerade gesprochen haben. Wie fördert ihr denn zivilgesellschaftliche Akteure oder Künstler und Künstlerinnen und nach welchen Kriterien werden Projekte bei euch ausgewählt?
Kateryna Rietz-Rakul:
Also wir versuchen, die Stimmen, die wir für wichtig qualitativ hoch oder vielleicht noch jung, aber vielversprechend halten, versuchen wir zu fördern und sie nach Ausland zu bringen und unseren Kolleg:innen hier im Ausland vorzustellen. Kriterien sind unterschiedlich, davon abhängig, was ist das denn für ein Call? Es gibt ein Gremium, was transparent agiert und alle Entscheidungen dokumentiert.
Amira El Ahl:
Das sitzt aber in Kiew, richtig?
Kateryna Rietz-Rakul:
Das hängt davon ab, was wir gerade machen. Also es gibt Calls, die wir selber organisieren. Dann laden wir manchmal Kolleginnen in die Gremien an aus Kiew, aus dem Institut oder einfach Kolleginnen, wenn es ein akademisches Call ist, laden wir Kolleginnen aus verschiedenen akademischen Einrichtungen in Deutschland und Ukraine und Polen. Es kann international sein.
Amira El Ahl:
Erzähl mal ganz kurz. Du meinst mit Call… meinst du?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ausschreibung. Das hängt von der Ausschreibung ab, wie die Gremien sich zusammensetzen und wie groß die sind und wie international die sind.
Das hängt vom Ziel der Ausschreibung ab.
Amira El Ahl:
Das heißt, oft junge Künstlerinnen und Künstler, denen ihr sozusagen gerne eine Plattform bieten möchtet, auch im Ausland. Warum ist diese Arbeit und vor allem die Förderung gerade dieser Akteurinnen und Akteure so wichtig?
Kateryna Rietz-Rakul:
Es war nie leicht, in der Kultur zu überleben. Als Kulturmacherinnen wissen wir das. Und jetzt, wo das Land in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage sich befindet, ist das noch komplizierter. Und weil wir der Meinung sind, dass diese kulturelle Identität wirklich ein Bestandteil der nationalen Sicherheit ist, finden wir es wahnsinnig wichtig, sie zu erhalten, versuchen zu unterstützen und weiter zu treiben. Du hast es ja gesehen oder gehört, zum Beispiel in Putins Reden geht es auch immer um Geschichte, um Kultur. Der nutzt das ja aus als Waffe, als Instrument oder Erklärung oder Entschuldigung für sein Handeln. Und man sieht ja auch zum Beispiel daran, wie viel Geld Russland in die Kulturdiplomatie einfließen lässt. Wir können da niemals mithalten. Niemals. Und wir haben jetzt ein ukrainisches Institut. Die akademische Abteilung bei uns hat jetzt eine Studie herausgebracht. Bald gibt es die auf Deutsch auf unserer Webseite. Jetzt gibt es die auf Englisch auf unserer Webseite. Und es geht über russische Kulturdiplomatie in Deutschland, über Akteure, Projekte und Erfolge der russischen Kulturdiplomatie in Deutschland. Es ist ein sehr breites Netzwerk von Regierungs- und scheinbar nicht Regierungsorganisationen, die aber von der russischen Regierung finanziert sind, die hier in Deutschland agieren, im kulturdiplomatischen Sektor und auch wahnsinnig erfolgreich, leider Gottes, agieren. Und die Narrative, die politische Narrative hier in Deutschland beeinflussen, aber auch die akademische Narrative hier in Deutschland beeinflussen und die Kulturinstitutionen beeinflussen. Ich habe hier zum Beispiel studiert und ich kann sagen, dass alles, was Slawistik angeht, sehr russo-zentristisch war. Und das gleiche ist in Musiktheorien, und deshalb ist das klar, dass Kultur ein Bestandteil ist von nationaler Sicherheit. Sonst würden die Russen nicht die Millionen stecken in diese Branche.
Amira El Ahl:
Aber da verändert sich vermutlich auch, oder hat sich ja in den letzten drei Jahren auch etwas verändert, eben auch durch eure Arbeit, aber auch vermutlich, weil eben viele Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland gekommen sind und darunter natürlich auch Künstlerinnen und Künstler sind. Eine Möglichkeit, weil wir ja drüber gesprochen haben, wie schwierig es ist, in Kriegszeiten Kunst zu machen und wie gefährlich es eben auch ist, teilweise in der Ukraine zu arbeiten. Eine Möglichkeit ist, für Künstlerinnen und Künstler in Kriegszeiten weiterzuarbeiten, zum Beispiel in Schutzprogramme in Anspruch zu nehmen im Ausland. Und da gibt es dann beispielsweise Programme vom ifa, wie das Schutzprogramm Martin Roth-Initiative, das in Kooperation mit dem Goethe-Institut ins Leben gerufen wurde, wo man für ein paar Monate oder auch ein Jahr nach Deutschland kommen kann in solchen Schutzprogrammen. Was können solche Schutzprogramme bieten und bewirken? Und wie sehr helfen sie diesen Künstlerinnen, aber eben auch das, was du gerade erklärt hast, eben die ukrainische Identität zu erhalten und zu schützen?
Kateryna Rietz-Rakul:
Es gibt ja mittlerweile, glaube ich, nicht so viele Programme für die ukrainischen Künstler und Künstlerinnen oder Kulturschaffende, sagen wir im breiteren Sinne. Wir versuchen jetzt Geld zu erwerben, um so ein Programm zu starten, für so kurz- und langfristige Residenzen für ukrainische Kunst- und Kulturschaffende. Ich glaube, die sind wichtig, um natürlich den Leuten eine Verschnaufpause zu geben. Du kannst ja… ich war jetzt in Kiew, es gibt keine Nacht, wo du durchschlafen kannst. Das gibt es einfach nicht. Es gibt einen Luftalarm so spät abends und dann gibt es einen ganz frühen Morgen, so um vier oder fünf oder drei. Ja, du kannst einfach nicht ausschlafen. Das klingt so banal…
Amira El Ahl:
Nein, das ist nicht banal.
Kateryna Rietz-Rakul:
…aber es ist einfach schrecklich, wenn du monatelang, jahrelang nie ausschlafen kannst. Und dann stell dir vor, du hast Kinder noch. Und dann ist dein Kind in der Schule, du auf der Arbeit und dann gibt es diesen Luftalarm oder Bombenangriff und du kannst ja nicht hin. Und es ist einfach so menschlich sehr schwer und diese Programme geben den Menschen einfach die Zeit, einmal durchzuschlafen, einmal Gedanken zu sammeln. Ich glaube, auf dieser banalen Ebene ist das wahnsinnig wichtig. Dann gibt es die Möglichkeit, sich auszutauschen mit den internationalen Kolleg:innen. Das finde ich für Kunst und Kultur auch und auch für Wissenschaft wahnsinnig wichtig, ja, diesen interkulturellen Austausch, diesen Dialog, bereichernd für alle Seiten. Und auch allein das ist schon, glaube ich, genug. Und außerdem finde ich, dass gibt es auch noch eine Möglichkeit, dass sich die Ukrainer, die in der Ukraine befinden und die Ukrainer, die sich jetzt im Ausland befinden, auch treffen können und vielleicht was zusammen machen können. Das ist also nachhaltig für die ukrainische Gesellschaft gut.
Amira El Ahl:
Aber wir hatten das vorhin, oder du hattest es vorhin schon mal angesprochen, es gibt ja dann auch die, die bleiben. Also aus einer Förderung für ein paar Monate, wenn man in so ein Schutzprogramm kommt oder in einem Jahr, da kann ja auch ein dauerhaftes Exil draus werden, weil man eben nicht zurück kann oder zurück will. Wie kann man sich zum einen die Arbeit und die Situation von Ukrainer:innen im Exil vorstellen, die ja gar nicht sagen können, ob sie jemals wieder in ihre Heimat zurückkehren werden. Und was macht das auch mit einem, weil so hat man auch dieses Gefühl von, man hat seinem Land irgendwie den Rücken gekehrt und man lässt Menschen dort im Stich. Also das belastet einen ja auch auf einer mentalen Ebene und psychisch.
Kateryna Rietz-Rakul:
Also, ist eine sehr schwierige...
Amira El Ahl:
Oder hast du da Erfahrungen gemacht?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ja.
Amira El Ahl:
Also kennst du Leute, die damit Probleme haben, die zum einen natürlich ihrer Arbeit nachgehen wollen und eben einen Schutzraum hier finden, aber gleichzeitig eben auch immer mit diesem ja, halb hier, halb da in Gedanken ist.
Kateryna Rietz-Rakul:
Es ist sehr schwierig und sehr, sehr unterschiedlich. Also ich kann dir zum Beispiel von einer Kollegin erzählen, Olena Apchel, eine Theaterregisseurin die kommt aus Donetsk, also das heißt, sie hat ihre Heimat bereits 2014 verloren. Sie hat lange in Wrocław, in Polen gearbeitet und dann kam sie nach Berlin, war zeitweise sogar eine der Direktorinnen vom „Theatertreffen Festival“.
Und sie hat sehr damit gehadert, dass sie nicht in der Ukraine ist. Sie hat ihr Gehalt komplett gespendet, weil ihre ganze Familie an der Front ist, alle, Männer und viele Frauen und sie hat unmöglich damit gehadert. Unsere Gespräche waren zu 80 Prozent darüber, dass ich die ganze Zeit gesagt habe, aber wir brauchen dich hier, du machst so viel für das ukrainische Theater, du bringst es so fort, du bringst es hierher hin, du veränderst die Institutionen, du hast doch Zugang, das ist so wichtig, bitte bleib. Und dann hat sie es im Endeffekt nicht ausgehalten und jetzt ist sie an der Front mit der Nationalgarde der Ukraine schon seit letztem Jahr. Weil sie meinte, ich will dazu aktiv beitragen, das Häuslein von meiner Oma im Donetsk Gebiet, meine Wohnung in Donetsk und mein Familienhaus auf der Krim zurückzuerobern. Es gibt solche Geschichten, dann gibt es Geschichten einer anderen Art, dass die Leute tatsächlich hierbleiben und die Karriere aufbauen, natürlich kontinuierlich Geld spenden für die ukrainische Armee, das mache ich zum Beispiel auch regelmäßig, also eigentlich so dauernd. Und dann erklärt man sich, jeder erklärt sich das anders. Also es gibt dann welche, die gesundheitlich sowieso nicht an die Front gehen hätten können. Oder es gibt dann welche mit vier Kindern, die auch sowieso nicht an die Front gehen würden. Und ich sage mir zum Beispiel, ich lebe hier seit 20 Jahren, ich bin noch bei …ausgewandert, wo wir diese komische Regierung hatten, die ganzen Kutschmas etc. Und ich lebe hier seit über 20 Jahren, ich habe hier eine Tochter und ich bin schon auch nicht mehr so jung und ich kann sehr schlecht sehen, also was würde ich da machen? Aber weißt du, andererseits gibt es Menschen, gibt es Mütter, die trotzdem an der Front sind und die auch über 40 sind.
Amira El Ahl:
Natürlich, aber nicht jeder kann an die Front, auch das ist, und das hast du ja gerade selber gesagt, jeder kann ja seinen Beitrag leisten und dieser kulturelle Zusammenhalt und auch diese kulturelle Identität zu erhalten und auch auszubauen, das ist ja auch extrem wichtig für die Ukraine und auf einer anderen Ebene extrem wichtig, weil das ja auch ein Teil dessen ist, diesen ukrainischen, also dieser Wille, die eigene Identität zu erhalten und eben auch zu schützen. Ich meine, das ist etwas, was du machst, aber was halt eben auch viele Künstlerinnen und Künstler, die im Ausland sind, im Exil sind, ja auch beitragen, auch wenn sie jetzt nicht an der Front sind. Aber es ist ebenso wichtig.
Kateryna Rietz-Rakul:
Absolut, absolut.
Amira El Ahl:
Lass uns mal zu einer Gruppe von Menschen gehen, die auch ganz wichtige Arbeit leisten für die Ukraine. Letztes Jahr wurde der ifa-Preis, da haben wir beide uns auch kennengelernt, genau vor einem Jahr etwa wurde der ifa-Preis an die MenschenrechtlerInnen der Ukraine 5 AM Coalition vergeben. Eine Koalition von Menschenrechtsorganisationen, deren Mission ist es, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während der russischen Aggression in der Ukraine begangen wurden, zu sammeln und zu dokumentieren, also ein ganz wichtiger Job, den die machen. Du hast damals eine Rede gehalten und in dieser Rede bei der Preisverleihung hast du die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko, ich hoffe, ich habe sie richtig ausgesprochen, zitiert, die gesagt hat, man kann nicht um Dinge trauern, von denen man nicht weiß, dass es sie gegeben hat. Dieser Satz betont ja, wie wichtig es ist, Verbrechen aufzudecken, aber es zeigt auch, dass die Kultur durch die Zerstörung von materiellem und immateriellem Kulturerbe sehr stark bedroht ist, das haben wir ja auch gerade besprochen. Was bedeutet dieses Zitat für dich persönlich und was macht dieser Angriffskrieg mit der ukrainischen Identität, also wir haben das ja schon besprochen, aber kannst du das nochmal so in diesem Zitat, also wie wichtig ist dir das?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ja, also das ist ja so, dass die Ukrainer sich gleichzeitig in drei Zeiten sozusagen befinden, also in der Vergangenheit, weil wir versuchen unsere Identität wieder kennenzulernen, wieder zu erkennen, wieder aufzubauen, wieder zu eigens zu machen, gleichzeitig heute kämpfen wir um Schutz davon, was wir schon wissen, was uns schon schmerzt, weil wir das schon kennen und in der Zukunft, weil wir versuchen jetzt schon so aufzubauen, dass es nachhaltig und besser ist und wir versuchen die Zukunft aktiv zu beeinflussen, durch Kampf an der Front, aber auch durch unsere Arbeit außerhalb der Front und ich glaube, was für mich am besten das Zitat von Oksana Sabuschko illustrier ist … es hat mich so beeindruckt, als es damals den Brand gab in Notre-Dame-de-Paris, haben alle wirklich Menschen so global in der ganzen Welt, waren so betroffen, haben so mitgeweint, auch die, die niemals da waren, das nie gesehen haben und überhaupt eigentlich nie an Notre-Dame-de-Paris gedacht haben zuvor, das war aber, alle waren so wahnsinnig betroffen und bei uns wird ständig zerstört, ständig, aber keiner weiß, dass es das gegeben hat und deshalb tut es auch nicht weh und deshalb, das ist ja zum Beispiel unsere Aufgabe als ukrainisches Institut, sehe ich das so, wir müssen die ukrainische Kultur hier zeigen, damit man das kennenlernt, damit man versteht, wie toll die ist und damit es einem auch schmerzt und damit einer auch Lust hat, uns zu helfen, die zu beschützen.
Amira El Ahl:
Ja und das sind ja wirklich so Schätze, wenn man alleine sich die Kirchen anguckt, was da… und es werden ja nicht nur Bauwerke zerstört, sondern es wird ja auch aus Museen gestohlen und die russischen Truppen nehmen das mit, also da sind ja tausende von Artefakte, die verschleppt worden sind nach Russland, also auch das ist ja eine Identität, die verloren geht und die man schützen muss. In dem Zusammenhang, da muss ich gerade dran denken, du hast mal einen Beitrag für die Konrad-Adenauer-Stiftung geschrieben, dass und ich zitiere dich, "der Versuch der Ukrainerinnen und Ukrainer, sich von Russland zu distanzieren, hier in Deutschland oftmals auf Unverständnis stößt". Der Beitrag, ich weiß nicht, glaube ist ein, zwei Jahre alt, also hast du das Gefühl, dass sich das verändert hat und kannst du kurz erklären, warum dieses Unverständnis oder woher das kommt?
Kateryna Rietz-Rakul:
Ja, den Beitrag habe ich damals geschrieben, gleich nach Beginn der Vollinvasion und da war ich noch sehr zerrüttelt, aber ja, also ja, es stößt immer noch auf Unverständnis, aber anders. Bis dato war das so, dass für die Deutschen waren Ukrainer tatsächlich kein eigenes Volk. Die Idee, dass die ukrainische Sprache eine eigene Sprache ist, war für jeden Zweiten irgendwie neu und man musste das erklären. Ich muss immer noch erklären, dass wenn du nur ukrainisch kannst, kannst du kein Russisch verstehen. Wenn du wirklich, wie z.B. meine Tochter, die ist hier aufgewachsen oder ihre beste Freundin, die jetzt wieder zurück in Kiew ist, die ist Diplomatenkind, sie war in London und Berlin aufgewachsen, sie war der russischen Sprache überhaupt nicht ausgesetzt und sie kann sie auch überhaupt nicht verstehen, weil sie hat nie, nie nichts, keine Filme geguckt, keine Bücher gelesen, keine Menschen gehört, ja. Und das den Deutschen zu erklären war unmöglich. Die glauben es einfach, die wollen es nicht glauben.
Amira El Ahl:
Das ist interessant, weil du, glaube ich, auch einen Vergleich machst in diesem Text. Es ist irgendwie, wenn du vergleichst, du hast Prozente, glaube ich, gesagt, wie sehr die ukrainische Sprache mit Russisch im Vergleich ist.
Kateryna Rietz-Rakul:
Also ich weiß nicht mehr, was ich da genau geschrieben habe, aber ich glaube, erstens ist sie weniger ähnlich als Italienisch und Spanisch. Also italienisch und spanisch sind sich ähnlicher als russisch und ukrainisch.
Amira El Ahl:
Das ist interessant. Du hast geschrieben, es hat nur 62 Prozent mit russisch… ist also der Wortschatz gleich.
Kateryna Rietz-Rakul:
Und auch nicht gleich, sondern ähnlich, ja.
Amira El Ahl:
Ähnlich, genau.
Kateryna Rietz-Rakul:
Und dazu muss man auch sagen zum Beispiel, also am nächsten ist für uns, glaube ich, belarusisch und polnisch. Die Sprachen helfen tatsächlich, das ukrainische zu verstehen. Und dazu muss man sagen, dass es mehrere Versuche gab, ukrainische Grammatik und ukrainischen Wortschatz an das russische anzugleichen. Also wirklich mehrere Versuche, auch gelungene Versuche seitens Russland und später seitens Sowjetrussland. Es wurden tatsächlich ganze grammatische Kategorien ausgelöscht, die für ukrainisch normal waren, aber im russischen überhaupt nicht vorkamen. Und es wurden Buchstaben ausgelöscht, die es nur im ukrainischen gab, im russischen gar nicht.
Amira El Ahl:
Unglaublich.
Kateryna Rietz-Rakul:
Worte oder zum Beispiel Genus. Was auf Ukrainisch war, dann Feminitiv, ein ähnliches Wort war im russischen Maskulin. Dann wurde es im ukrainischen Vokabular ins Maskulin durch die Sprachreformen gewechselt. Also das war eine wahnsinnige, riesige Arbeit seitens Russland, die Sprachen anzugleichen. Sie sind sich jetzt nähergekommen durch diese Versuche, sind aber trotzdem nicht verständlich. Also du kannst als Russe, der keinen ukrainischen Rutsch hat, niemals in der Ukraine gelebt hat, wirst du mich nicht verstehen.
Amira El Ahl:
Und das ist ja so ein wahnsinnig wichtiger Punkt von Identität. Also Sprache ist ja sozusagen der Kern, wo du dich mit identifizierst. Von daher finde ich das sehr, sehr interessant, dass ihr da auch Aufklärungsarbeit leistet mit eurer Arbeit im ukrainischen Institut und in den letzten drei Jahren sich da ja auch Dinge verändert haben, hoffentlich im Verständnis.
Kateryna Rietz-Rakul:
Ja, also es gibt, weißt du, kurz noch dazu, die Trennung. Also mir wurde dann so eine nervige Frage auf irgendeinem Podium gestellt. „Aber wann werden die russischen und die ukrainischen Künstlerinnen wieder miteinander sprechen können?“ Und dann, weißt du, es gibt so viele Länder auf der Welt und mit so vielen hat man so wenig gesprochen bis jetzt Warum interessieren wir uns nicht dafür? Warum muss mich ein deutscher Panelist dazu irgendwie pressen, nachzudenken über einen Dialog mit russischen Künstlerinnen? Also es interessiert mich nicht. Mich interessiert Dialog mit Deutschen, mit Polen, mit Tschechien. Wir haben so viele Nachbarländer in der Ukraine, mit denen es nicht genug Dialog gab. Jetzt gibt es den, Gott sei Dank. Und ich hoffe, den können wir vertiefen. Also, weißt du, auch diese Spalten, wir sind jetzt nicht daran interessiert, im Dialog zu treten im Laufe des heißen Krieges. Vor allem, wir sehen ja, hast du diesen Skandal mitgekriegt? Diese Werbung von russischen sogenannten oppositionellen Medien, „Medusa“. Es gab, die haben überall hier in Berlin Plakate und die hatten in York Kinogruppe, in den Kinos, haben die so eine kurze Videowerbung gezeigt und werben um Geld. Also, die sagen, spendet Geld an uns, wir sind so toll. Und in deren Videos benutzen die die Bilder der ukrainischen Städten, die zerstört sind von Russen. Und die benutzten sogar Bild von einem Mann, einem Bewohner von Lviv, der seine Frau und drei Töchter im russischen Bombenangriff verloren hat. Die haben seine Bilder benutzt, ohne seine Einwilligung. Weißt du, und die sind die sogenannten guten Russen, mit denen wir jetzt in Deutschland immer wieder animiert werden oder gezwungen werden, zu sprechen. Aber die sind leider immer noch in erster Linie Russen. Leider. Und haben ganz andere Ziele als wir. Die wollen haben ein großes, starkes, florierendes Russland. Wir wissen, dass ein großes, starkes, florierendes Russland immer ein imperialistisches Russland sein wird.
Amira El Ahl:
Gibt es denn, was jetzt diese russische Propaganda angeht, die ja immer noch sehr extrem ist und diese Desinformationskampagnen werden ja mit voller Wucht gefahren. Gibt es denn da Strategien, die das ukrainische Institut einsetzt, die ihr einsetzt, um dem entgegenzuwirken und eben auch aufzuklären, also gerade hier in Deutschland?
Kateryna Rietz-Rakul:
Uns sind leider die Hände durch die Wahrheit gebunden, weil wir haben nicht so ein weites Spielfeld. Und natürlich auch nicht so endlose finanzielle Ressourcen. Aber ja, wir versuchen durch Fakten entgegenzuwirken, durch so mediale Kampagnen, mit so Erklärungen dagegenzuwirken. Wir posten dann so diese Karussells, heißen die auf Ukrainisch, ich weiß nicht, wie die auf Deutsch heißen. So Erklärer, also mehrere Posts hintereinander mit so Bild und Text, wo wir dann erklären, was ist denn das und was ist denn das. Also wir versuchen mit unseren Veranstaltungen und unserem Programm natürlich dagegenzuwirken, aber ich fühle mich so ein bisschen wie David und Goliath manchmal. Und allein hier in der Mitte, wo ich sitze, gibt es ja das russische Haus. Ein Riesengebäude, geschenkt von Deutschland. Grundsteuer bezahlt aus dem deutschen Budget. Verkaufen russische propagandistische Literatur, fühlen sich sehr gut hier, geführt von einem FSB-Typen, Kulturdiplomatische Einrichtung. Weißt du, und das ist einfach, natürlich machen wir das weiter und natürlich wirken wir entgegen mit Fakten, Zahlen und positiven und auch negativen Narrativen. Aber wir sind nicht gleich stark. Und wenn Deutschland und andere westliche Freunde sich nicht aufwachen und nicht die Sanktionen wirklich durchführen und sich wirklich… weil ich habe das Gefühl, man will hier nicht glauben, dass die Welt sich für immer verändert hat. Man versucht immer noch irgendwelche Brücken zu erhalten und nicht zu verbrennen. Aber man muss verstehen, die Welt ist eine andere und die Brücken, die es jetzt gibt, die muss man verbrennen und dann baut man halt neue Brücken auf mit der neuen Welt. Aber so, wenn Russland, wenn es so weitergeht wie jetzt, wird Russland gewinnen. Nicht nur in der Ukraine, sondern insgesamt, in Europa. Und wir sehen, wie global Russland gewinnt. Wir sehen jetzt Amerika, da hat Russland gewonnen. Und die Wellen, die Amerika schlägt, jetzt die neue Amerika, die sind wahnsinnig destruktiv. Also USAID-Einstellung zum Beispiel, diese Hilfe ist jetzt eine Katastrophe. Und das ist zum Beispiel auch für die ukrainische Zivilgesellschaft eine Katastrophe. Für den unabhängigen Journalismus ist das eine Katastrophe. Und jetzt müsste eigentlich die EU aufkommen und diese Hilfe leisten. Aber wie denn? Du kannst nicht 60 Milliarden ersetzen jetzt so auf einmal im Moment. Und wir müssen hier aufwachen. Wir müssen verstehen, die Welt ist in Gefahr. Und wir müssen zusammenschließen. Und wir müssen verstehen, Klima, Russland, Bildung, das ist alles schon wirklich 30 Sekunden vor zwölf.
Amira El Ahl:
Ja, und umso wichtiger ist es, dass ukrainische Stimmen, so wie deine, gehört werden, trotz gezielter und strategischer Desinformationen. Und dass Kulturschaffende und Künstler aus der Ukraine unterstützt werden. Das sagt auch Kateryna Rietz-Rakul. Sie leitet das Ukrainische Institut in Berlin und widmet sich der Förderung von ukrainischen Künstlern, Künstlerinnen und Kulturschaffenden. Vielen, vielen Dank Kateryna, dass du dir Zeit genommen hast für dieses Gespräch und dass du heute bei uns im Podcast zu Besuch warst. Herzlichen Dank.
Kateryna Rietz-Rakul:
Danke, liebe Amira. Danke an euch.
Amira El Ahl:
Wenn Sie noch mehr über Außenkulturpolitik zur Ukraine erfahren möchten, dann hören Sie gerne weitere Folgen der Kulturmittler:innen. Empfehlen kann ich Ihnen zum Beispiel das Gespräch mit Nadia Volkova über die Ukraine 5 AM Coalition, über die wir ja vorhin auch gesprochen haben. Den Zusammenschluss von Menschenrechtsorganisationen, die sich der Dokumentation von Kriegsverbrechen in der Ukraine widmet. Den Link dazu finden Sie in den Shownotes. Diese und alle anderen Episoden finden Sie auch auf unserer Webseite ifa.de oder überall dort, wo es Podcasts gibt. Zum Beispiel bei Deezer, Apple Podcast oder Amazon Music.
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