Horst Bartnig
zweihundertsechsundfünfzig striche, Blatt I aus computergrafik-serie, Blatt I – IV
1982
Strichätzung, Handdruck
34,9 cm x 34,9 cm
Horst Bartnig entwirft seine Werke auf der Grundlage von einfachen geometrischen Elementen. Im Kunstwerk des Monats Juni ist es ein kurzer Strich, der auf sehr einfache Weise variiert wird. Er wird von der Vertikalen im Uhrzeigersinn, in die Waagerechte und weiter, einmal um die eigene Achse, dann wieder in die Senkrechte gestellt. Dafür werden 17 Schritten von jeweils 11,25 Grad benötigt. Eine Zeile beinhaltet jedoch nur 16 Positionen. Dadurch ergibt sich in jeder nachfolgenden Zeile eine Verschiebung um eine Position. Nach 16 Zeilen und zweihundertfünfundfünfzig Schritten steht am Ende der Senkrechte zweihundertsechsundfünfzigste Strich. Aufgrund eines konkret visuell umgesetzten Prinzips erkennt man unmittelbar die Struktur, deren in Sprache übersetze Beschreibung, wie hier zu lesen, etwas komplizierter ist.
Horst Bartnig, der 1936 in Schlesien geboren wurde, lebte nach seinem Studium an der Magdeburger Fachschule für angewandte Kunst in Ost- Berlin. Er ist ein Vertreter der Konkreten Kunst. Durch ein Buch über den russischen Künstler Kasimir Malewitsch, dessen „Schwarzes Quadrat“ als Ausgangspunkt der Konkreten Kunst gesehen werden kann, wurde Bartnig in den Bann einer Kunst gezogen, die nichtmehr darstellt oder abstrahiert, sondern das Material und die Kompositionen für sich selbst sprechen lässt. In der Kunstszene der ehemaligen DDR stand er mit seiner Position allein dar und wurde als “Ausnahmekünstler” bezeichnet. Eine Aufnahme in den Verband Bildender Künstler war aufgrund seiner unangepassten Kunst nicht unproblematisch. Allerdings war dies ein wichtiger Schritt für Künstler in der DDR, um frei und offiziell arbeiten sowie ausstellen zu dürfen. Mit der Unterstützung des befreundeten Künstlers Robert Rehfeldt (Kunstwerk des Monats Februar 2022) und der überzeugenden Qualität seiner Arbeit gelang es Horst Bartnig 1975 doch in den Verband aufgenommen zu werden.
Noch vor der Kunstwelt zog Bartnig durch die Darstellung von Strukturen mathematischer Prinzipien zunächst die Aufmerksamkeit von Naturwissenschaftler:innen auf sich. Schon ab 1972 konnte er - auch hier bereits mit offizieller Genehmigung - im Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf bei Dresden seine Arbeiten entwickeln. Von 1979 bis 1985 widmete sich der Künstler zusammen mit Mitarbeiter:innen des Instituts für Informatik und Rechentechnik in Berlin-Adlershof der künstlerischen Computergrafik. Aus dieser Zeit stammt auch die besprochene Strichätzung, das erste Blatt aus der vierteiligen “computergrafik - serie” von 1982.
Dem Kunstbestand des ifa wurde die Grafik anvertraut, nachdem das Zentrum für Kunstausstellungen (ZfK) der DDR 1991 aufgelöst wurde.