Gerhard Altenbourg
Das Ei des Formalisten
1955
Aquarell, Tempera auf Karton
63,5 x 89,5 cm
Ein Gebäude erstreckt sich über das gesamte Blatt. Es ist von menschenähnlichen Wesen bewohnt. Filigrane Linienzeichnungen stehen neben malerischen Flächen. Abstrakte und figürliche Darstellungen gehen ineinander über. Die farbenstarke Aquarellzeichnung wird von einem erdigen Rotton dominiert. Ausgehend von einer Architekturzeichnung in der Mitte der Arbeit übermalt und erweitert Gerhard Altenbourg die architektonische Struktur. Es handelt sich bei der dem Werk als Grundlage dienende Zeichnung um einen architektonischen Aufriss, der in dieser Form vor dem 2. Weltkrieg üblich war, und deshalb wahrscheinlich nicht aus der Hand des Künstlers stammt.
Das “Ei des Formalisten” steht fest eingebaut im Zentrum zwischen den zwei Seitenflügeln des verwinkelten Gebäudes. Es hat keine Möglichkeit auf die ein oder andere Seite zu kippen. Altenbourg spielt auf das berühmte “Ei des Kolumbus” an, das für eine verblüffend einfache Lösung eines unlösbar scheinenden Problems steht. Er überträgt dies auf die schier unmögliche Aufgabe des Künstlers im Sozialismus, ein Bild zu malen, ohne in den Verdacht des Formalismus zu geraten. Denn Gerhard Altenbourg gehörte zu den Künstlern der DDR, die von Staats Seiten auf Ablehnung stießen. Von der Weimarer Hochschule für Baukunst und Bildende Kunst wurde er 1950, im zweiten Jahr seines Studiums, exmatrikuliert. Seine künstlerische Ausdrucksweise diente nicht den kulturpolitischen Erwartungen der DDR und einem Realismus stalinistischer Prägung wollte er sich nicht anpassen.
Ganz gegensätzlich hierzu stand seine Rezeption im internationalen Westen, denn hier war er ein erfolgreicher Künstler. Seine Arbeiten waren u.a. 1959 Teil der Dokumenta 2 in Kassel und wurden 1961 auch in die Sammlung des MoMa in New York aufgenommen. Für die Polarisierung der ästhetischen Positionen in Ost und West steht das Werk Gerhard Altenbourgs exemplarisch. Was auf der einen Seite des Eisernen Vorhangs mit Ignoranz gestraft wurde, hatte auf der anderen Seite gute Chancen gefördert zu werden.
Schon kurz nach der Wende realisierte das ifa eine monografische Ausstellung mit den Werken von Gerhard Altenbourg, die von 1992 - 2005 weltweit gezeigt wurde. Zurzeit sind einige Zeichnungen von Altenbourg in der Ausstellung “Weltreise” mit dem ifa auf Tournee.