Eine Frau und ihr Kind stehen vor einem zerstörten Gebäude
Nachwirkung eines groß angelegten russischen Drohnenangriffs - Ukraine

Ungehörte Stimmen: Frauen in Kriegszeiten

Von Gewalterfahrungen bis zu Überlebensstrategien: Welche Erfahrungen machen Frauen, die Teil militärischer Konflikte werden? Eine Veranstaltungsreihe des Dokumentations- und Ausstellungszentrums der Deutschen in Polen stellt nun ihre Rolle und Erfahrungen in den Mittelpunkt. Das Ziel: einen neuen Diskurs anregen und Perspektiven aufzeigen, die in der öffentlichen Erzählung gerade 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu wenig Beachtung finden. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe fanden am 9. April 2025 ein Workshop und eine Podiumsdiskussion mit dem Titel "Gelöschte Erinnerungen" statt.

Frauen, die ihre Kinder trösten, mit einem Koffer und Plastiktaschen Richtung Westen fliehen oder schwanger im Krankenhauskeller Schutz suchen – und Frauen, die mit 79 Jahren lernen, eine Kalaschnikow zu laden oder selbst Molotowcocktails zu bauen. Diese Bilder aus dem Krieg in der Ukraine zeigen, wie unterschiedlich die Erfahrungen von Frauen in Kriegszeiten sind. 

Im Krieg können feste Geschlechterrollen an Gültigkeit verlieren

In jedem Krieg werden Geschlechterrollen zugleich gefestigt und gesprengt: Einerseits werden vor allem Männer in das Militär einbezogen, während Frauen zu Hause bleiben. Klischees und sexistische Parolen werden eingesetzt, um militarisierte Männlichkeit zu betonen. Sowohl Frauen als auch Männer werden Opfer sexualisierter Gewalt, die bedauerlicherweise Bestandteil aller Kriege bleibt. 

Andererseits gibt es viele Männer, die nicht kämpfen wollen oder können – weil sie körperlich eingeschränkt sind oder sich um ihre Familie kümmern müssen. Und es gibt Frauen, die alles riskieren, um als Scharfschützinnen zu dienen oder typische Männerrollen zu übernehmen. Ukrainische Frauen kämpfen zum Beispiel seit 2014 an der Seite der Männer, seit 2018 dürfen sie offiziell militärische Positionen übernehmen. 

Auch während des Zweiten Weltkriegs waren Frauen am Kriegsgeschehen beteiligt: Über eine Million Soldatinnen dienten in der sowjetischen Roten Armee, international waren viele Frauen im Geheimdienst und in der Rüstungsindustrie tätig. 80 % der Beschäftigten in Bletchley Park, der geheimen britischen Dienststelle zur Entzifferung verschlüsselter Nachrichten, waren weiblich. In der amerikanischen Armee dienten etwa 350.000 Frauen. Doch nach dem Krieg geriet der Beitrag, den Frauen geleistet hatten, oft in Vergessenheit.

Die Veranstaltungsreihe Frauen und Krieg am Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen in Oppeln macht diese Ambivalenz sichtbar. Teil der Veranstaltungsreihe ist beispielsweise eine Ausstellung mit Fotografien von der ukrainischen Front zum Beispiel porträtiert ukrainische Frauen als Sanitäterinnen, Offizierinnen, Journalistinnen und Freiwillige. 

Gleichzeitig wurde im Rahmen eines Workshops und einer Diskussion mit dem Titel Gelöschte Erinnerungen an die Erfahrungen von Frauen im Jahr 1945 auf den Gebieten Ober- und Niederschlesiens erinnert. Gefördert wurden der Workshop und die Diskussion, die am 9. April 2025 stattfanden, vom ifa - Institut für Auslandsbeziehungen.

Frauen als Opfer sexualisierter Gewalt

Das Jahr 1945 wird in Oppeln als "Oberschlesische Tragödie" bezeichnet. Gemeint sind damit die Verbrechen, die nach der Besetzung der Region durch die Rote Armee stattfanden und die für die Deutschen und damit auch für die deutsche Minderheit bis heute schmerzhaft sind. Als sowjetische Soldaten in die damaligen deutschen Gebiete einmarschierten, wurden zahlreiche Männer erschossen, während viele Frauen – unabhängig von Alter, Gesundheitszustand oder Nationalität – brutal vergewaltigt wurden. 

In der Podiumsdiskussion, an der Literaturwissenschaftlerin Dr. Katherine Stone von der Universität Warwick sowie die Historiker:innen Dr. Joanna Hytrek-Hryciuk und Dr. Bogusław Tracz, Mitarbeiter am Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), teilnahmen, wurde das Ausmaß dieser Verbrechen deutlich, über die bis heute wenig gesprochen wird. Viele Frauen starben an ihren Verletzungen oder begingen Selbstmord. Alle von ihnen litten unter psychischen und körperlichen Folgen, darunter sexuell übertragbaren Krankheiten und ungewollten Schwangerschaften. In einigen Dörfern in Oberschlesien sollen bis zu 80 % der Frauen vergewaltigt worden sein. 

Mehrere Menschen diskutieren in einer Runde miteinander.
Workshop "Gelöschte Erinnerungen", gefördert vom ifa

Weibliche Überlebensstrategien unter unmöglichen Umständen

"Der Text war für feministische Wissenschaftlerinnen von großer Bedeutung. Er zeigt nämlich, dass Gewalt gegen Frauen kein Einzelfall ist, sondern findet im größeren Kontext von Machtverhältnissen statt".

Dr. Katherine Stone

"Die Zahl der Opfer von Morden, Vergewaltigungen und Verschleppungen ist bis heute weitgehend unbekannt", betonte Dr. Joanna Hytrek-Hryciuk. Nach dem Krieg hatten viele Frauen Angst vor doppelter Stigmatisierung und verschwiegen ihre Erlebnisse. Aus diesem Grund ist im öffentlichen Gedächtnis bis heute wenig über die Ereignisse bekannt. Nachvollziehen lassen sie sich vor allem anhand von Schätzungen, medizinischen Statistiken, Erinnerungen von Frauen, die nach Deutschland geflüchtet sind sowie literarischen Texte, in denen die Verbrechen erwähnt werden.

Ein besonderer Fall ist das anonyme Tagebuch "Eine Frau in Berlin", das im Workshop mit Katherine Stone besprochen wurde. Der autobiographische Text fasst die traumatischen Erfahrungen der Erzählerin in den Wochen nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin zusammen. 

An dem Workshop nahmen Frauen unterschiedlichen Alters, teils aus der deutschen Minderheit, teil. Für manche ist das Thema Teil ihrer Familiengeschichte, andere haben mit Zeitzeuginnen gesprochen und wollten die lokale Perspektive einbringen. Für viele jüngere Teilnehmerinnen waren die Fragen allgemeiner Natur: "Was ich sehe, sind Frauen, und nicht die politische Situation", betonte eine Teilnehmerin. "Der Text war für feministische Wissenschaftlerinnen von großer Bedeutung", erklärte Dr. Katherine Stone. "Er zeigt nämlich, dass Gewalt gegen Frauen kein Einzelfall ist, sondern sie findet im größeren Kontext von Machtverhältnissen statt."

Diese Fragen sind nach wie vor relevant, denn sie zeigen, dass weibliche Erfahrungen von Krieg und Gewalt sich oft nicht in klare, lineare Erzählungen fassen lassen. Jede Geschichte ist anders: Ob es nun Frauen sind, die sich entscheiden, der Armee beizutreten, vor dem Konflikt zu fliehen, um ihre Familie zu schützen, oder ihre eigene Überlebensstrategie wählen. Die Veranstaltung in Oppeln verdeutlicht das dringende Bedürfnis, über diese Themen zu sprechen und sich mit den vergessenen oder verdrängten Aspekten der Geschichte auseinanderzusetzen. 

Iga Nowicz ist ifa-Kulturmanagerin am Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen. Sie ist promovierte Germanistin und arbeitete unter anderem als Dozentin und Redakteurin. Ihr Buch Interrupted Stories: Multilingualism in Post-Yugoslav Literature in Germany and Austria erschien 2024.