Ukrainisches Theater als "Therapie" – "Between" von Ihor Chayka
Von
Ira Peter
Die außergewöhnliche Lebensgeschichte des letzten "Hetmans" der Ukraine machte den Autor und Regisseur Ihor Chayka aus Kyiv neugierig auf den kleinen Kurort Oberstdorf im Allgäu. Der Krieg zwang ihn, 2022 seine Heimat Ukraine zu verlassen und führte ihn erneut dorthin. Nun wird er selbst in die Geschichte Baden-Württembergs eingehen – mit seinem Theaterstück "Between", das im Januar 2023 in Ravensburg auf Ukrainisch uraufgeführt wurde.
Als Ihor Chayka 2021 das Theaterstück "Between" schrieb, lag gerade ein Jahr Pandemie hinter ihm und der Welt. Ein Jahr, in dem er gezwungenermaßen etwas mehr Zeit hatte als sonst in seinem turbulenten Leben als Drehbuchautor und Filmemacher. Zeit zum Beispiel, um Werke seines guten Bekannten, des in Kyiv lebenden Journalisten und Schriftstellers Sergei Berezhniy, zu lesen. Oder die Geschichten von Stas Volsky aus Israel, über die er auf Facebook "gestolpert" war, und von zwei anderen Autoren, die ihm "das Internet geschenkt hatte", wie er sagt: Vladislav Skripach aus Zaporozhye und Vasily Vladimirsky aus St. Petersburg. Einige außergewöhnliche Ereignisse, die diese vier Männer in ihren Werken beschreiben, verknüpfte Chayka in dem Theaterstück "Between", das er wie folgt beschreibt:
"Es geht darum, dass jeder Mensch selbst entscheidet, ob er auf der Seite des Guten oder des Bösen steht, ob er das Licht wählt oder die Dunkelheit."
Im März 2022 wollte er es in der Ukraine uraufführen. Am 24. Februar durchschnitt der russische Angriffskrieg diesen Plan und sein gesamtes Leben ebenso wie das von Millionen anderen Menschen. Der in der Ukraine seit den 1980er Jahren bekannte Journalist und Dokumentarfilmer verließ daraufhin zusammen mit seiner Ehefrau seine Heimat und zog an einen Ort, wo er viele Bekannte hatte: nach Oberstdorf in der Nähe des Bodensees. Eine faszinierende Biografie hatte Ihor Chayka in den vergangenen Jahren mehrfach hierhergeführt. Auf sie war er zufällig gestoßen, als er erstmals wegen des Berufs seiner Ehefrau als Eiskunstlauf-Trainerin in der Region war.
Damals erfuhr er, dass sich das Grab von Pavlo Skoropadsky auf dem Friedhof in Oberstdorf befindet. Skoropadsky entstammte einer kosakischen Adelsfamilie und wurde am Ende des Ersten Weltkriegs vom Deutschen Kaiserreich als Oberhaupt des Ukrainischen Staates, als ein "Hetmann", eingesetzt. Nach der Niederlage des Kaiserreichs lebte Skoropadsky mit seiner Familie von 1918 und bis zu seinem Lebensende nach Verwundung durch einen Bombenangriff 1945 in Deutschland.
Mit einem Team drehte Chayka 2018 einen kurzen Film über das Leben dieser außergewöhnlichen Figur. Eine längere Fassung steht noch aus und wird sich eines Tages in die lange Liste der aktuell über 20 Dokumentationen des vielseitig interessierten Filmemachers einfügen. Zu ihr gehört auch der international bekannte Dokumentarfilm "Island Crimea - Deja Vu" über die Ereignisse vor und während der illegalen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014.
Doch zurück zu "Between", der "philosophischen Geschichte, die mit viel Ironie und Humor erzählt wird, ohne zu moralisieren oder zu belehren", so Chayka. Kaum ist der 62-Jährige in Deutschland, bieten ihm Freunde vom Druga-Strefa-Theater in Warschau an, das Stück in Warschau aufzuführen – auf Polnisch und mit polnischen Schauspielern. Er stimmt zu und bereits im Mai 2022 wird "Between" uraufgeführt. Bald darauf eröffnet sich dank der Vermittlungsarbeit des ifa in Stuttgart auch die Chance, das Stück in Deutschland zu zeigen: in Ravensburg im südöstlichen Baden-Württemberg, wo seit Kriegsbeginn rund 3.000 Menschen aus der Ukraine leben.
Gemeinsam mit Albert Bauer, dem Leiter des Ravensburger Theaters, entscheidet Chayka, das Stück dieses Mal in ukrainischer Sprache auf die Bühne zu bringen. Und dann geht alles sehr schnell: Bereits am 12. Januar 2023 findet die erste von zwei Aufführungen statt. Der Saal des Theaters ist komplett gefüllt. Während der Vorführung lachen die Zuschauer, sie weinen auch und fühlen mit den Helden des Stücks mit, ohne zu ahnen, welch herausfordernde Zeit hinter den Schauspielern, die aus unterschiedlichen Städten in der Ukraine stammen, liegt. Denn zum gemeinsamen Proben hatten sie nur eine Woche Zeit.
"Ich weiß nicht, ob so etwas in das Buch der Weltrekorde aufgenommen werden kann: Ein Theaterstück, das innerhalb von einer Woche einstudiert wurde", staunt Chayka selbst.
Vor allem, weil das Stück aufwändige Video- und Tonsequenzen sowie Tänze enthält. Es ist dem Ensemble aber gelungen, den Saal an beiden Abenden bis auf den letzten Platz zu füllen. "Es war eine unglaubliche Atmosphäre, unser Stück wurde mit viel Wärme angenommen. Die Leistung der Schauspieler war einfach überwältigend", sagt der Regisseur. Die Premiere in Ravensburg habe ihm gezeigt, dass es für seine Landleute eine Art Therapie und Entspannung sein kann, ein Theaterstück auf Ukrainisch zu sehen. Doch es sei ihm auch klar, dass es aus finanziellen Gründen sehr schwierig sein wird, es auch in anderen Städten zu zeigen.
"Was wir in Ravensburg geschafft haben, war großes Glück und nur möglich durch die Hilfe von wunderbaren Menschen und Organisationen wie dem ifa, das für die Organisation und Verknüpfung mit Partnern entscheidend war", sagt Ihor Chayka. Auch dem Stuttgarter Theater "LOKSTOFF!" und dessen Leiterin Kathrin Hildebrand sowie dem Kulturamt Stuttgart und dem Kunstzentrum Karlskaserne in Ludwigsburg sei er zutiefst dankbar – ebenso wie dem Theater Ravensburg.
Trotz des momentanen Erfolgs lasten die Sorgen um Freunde und Kollegen in der Ukraine schwer auf Chayka. In die Zukunft zu blicken, fällt ihm schwer: "Ich bin aber bereit, hier in Deutschland mit neuen Ideen und Projekten weiterzuarbeiten. Das Land Baden-Württemberg hat mich mit seiner Offenheit und Bereitschaft, kreative Initiativen zu unterstützen, sehr bewegt."
Redaktion und Autoren
Ira Peter
Journalistin und Bloggerin
Ira Peter ist eine deutsche Journalistin und Bloggerin, die in Kasachstan geboren wurde. Sie studierte Literaturwissenschaften und Psychologie an den Universitäten Heidelberg und Nizza. Seit 2017 setzt sie sich öffentlich – in journalistischen Beiträgen, sozialen Medien, kulturellen Projekten in Deutschland und der Ukraine, im Aussiedler-Podcast „Steppenkinder“ und als Rednerin bei Veranstaltungen – mit russlanddeutschen Themen auseinander. 2022 war Ira Peter ifa-Kulturassistentin und befragte im Rahmen dessen deutschstämmige Menschen aus der Ukraine zu ihren Erlebnissen und ihrer aktuellen Situation während des russischen Krieges gegen ihre Heimat.
Förderprogramm: Kulturhilfe Ukraine
Baden-Württemberg setzt sich solidarisch für Schutzsuchende aus der Ukraine ein. Mit der Kulturhilfe Ukraine bietet das ifa in Kooperation mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg eine Kontaktstelle für geflüchtete Kultur- und Kunstschaffende aus der Ukraine sowie Kulturorganisationen aus Baden-Württemberg an.