Pressefreiheit unter Beschuss – in Deutschland und Paraguay



In Deutschland hat sich das Klima gegenüber Journalist:innen 2021 deutlich aufgeheizt. Die größte Gefahr geht von nichtstaatlichen Akteuren aus. Gleiches gilt für Paraguay, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Beobachtungen aus der Arbeit von Reporter ohne Grenzen und einer Diskussionsrunde in Asunción im Rahmen des Vortragsprogramms der Bundesregierung über Pressefreiheit in Deutschland und Paraguay.

© Foto: picture alliance/dpa / Gregor Fischer

Der Jahresbeginn ist auch für uns bei Reporter ohne Grenzen (RSF) eine Zeit um zurückzublicken, auf die Lage der Pressefreiheit in der Welt und speziell in Deutschland. Hierzulande waren die Arbeitsbedingungen für Journalist:innen auch im zweiten Corona-Jahr stark von der Pandemie geprägt – konkret von der Aggressivität auf sogenannten Querdenker-Demonstrationen. Bereits 2020 zählten wir mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalist:innen im Land, so viele wie noch nie und fünfmal so viele wie 2019.

Als ich am 5. Oktober 2021 an der Online-Diskussion des Vortragsprogramms "Pressefreiheit, Fake News und Datenschutz" teilnahm, gemeinsam mit dem paraguayischen Journalisten Andrés Colmán Gutiérrez, war schon abzusehen, dass uns dieses Thema weiterhin intensiv beschäftigen wird. Keine Woche vergeht ohne Meldungen über neue Übergriffe auf oder am Rande von Demonstrationen. In diesen Tagen sind wir dabei, Dutzende dieser Fälle auszuwerten und zu verifizieren. Wie viele es schlussendlich sein werden, ist noch nicht abzusehen, aber klar ist: 2021 hat sich das Klima gegenüber Journalist:innen noch einmal deutlich aufgeheizt. Auf unserer weltweiten Rangliste der Pressefreiheit ist Deutschland von Platz 11 auf Platz 13 von 180 Staaten abgestiegen.

Klima der Straflosigkeit

Weder in Paraguay noch in Deutschland, so stimmten Andrés Colmán Gutiérrez und ich überein, geht die größte Gefahr für Journalist:innen von der Regierung aus. Colmán Gutiérrez, der bis vor einigen Jahren auch RSF-Korrespondent im Land war, sprach von 19 Journalist:innen, die seit dem Fall der Diktatur im Jahr 1989 in Paraguay ermordet wurden, vor allem im Zusammenhang mit Recherchen zur organisierten Kriminalität und zum Drogenschmuggel in der Grenzregion mit Brasilien. Für ihn ist die Mafia die größte Gefahr für die Pressefreiheit in Paraguay. Er prangerte allerdings auch ein Klima nahezu völliger Straflosigkeit nach Gewaltverbrechen gegen Journalist:innen an, weil die korrupten Justizbehörden nicht unabhängig ermittelten – ein Phänomen, das wir leider aus vielen lateinamerikanischen Ländern kennen.

Eine Gruppe von Journalist:innen protestiert gegen die Ermordung ihres Kollegen von ABC Color, Pablo Medina, und fordert eine Untersuchung des Falles, in Asuncion, Paraguay, 18. Oktober 2014. Medina wurde am 16. Oktober in Canindeyu, Paraguay, zusammen mit seiner Assistentin Antonia Almada getötet, 18.10.2014, © Foto: picture alliance / dpa / Andres Cristaldo

Auf unserer Rangliste der Pressefreiheit liegt Paraguay auf Platz 100 von 180 Ländern, im weltweiten Vergleich im Mittelfeld. Unsere Jahresbilanz der Pressefreiheit 2021 zeigt, dass die Lage in vielen anderen Ländern leider deutlich schlechter ist: 488 Journalist:innen saßen weltweit zum Stichtag 1. Dezember im Gefängnis, rund 20 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Seit unserer ersten Jahresbilanz im Jahr 1995 waren noch nie so viele Menschen allein wegen ihrer journalistischen Arbeit willkürlich inhaftiert, oft unter unmenschlichen Bedingungen. Vor allem in China mit 127, Myanmar mit 53 und Belarus mit 32 Inhaftierten wuchs die Zahl stark an.

In den vergangenen zehn Jahren wurden weltweit rund 850 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit getötet

Aber es gibt auch Lichtblicke: Die Zahl der im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getöteten Medienschaffenden war 2021 mit 46 so niedrig wie seit 2003 nicht. Dennoch: Im Schnitt kommt noch immer fast jede Woche ein:e Journalist:in im Zusammenhang mit ihrer oder seiner Arbeit ums Leben. In den vergangenen zehn Jahren wurden weltweit rund 850 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit getötet. Die meisten verloren außerhalb von Kriegsgebieten ihr Leben, wenn sie über organisierte Kriminalität, Korruption, Machtmissbrauch oder Menschenrechtsverletzungen berichteten. Die allermeisten dieser Verbrechen bleiben ungestraft. In Paraguay kam zuletzt im Februar 2020 ein Journalist gewaltsam ums Leben: der Brasilianer Leo Veras.

Die größte Gefahr: digitale Überwachung

Für ein neues Ausmaß der Repression sorgte in den vergangenen Jahren in vielen Ländern weltweit das Internet. Einerseits ermöglicht es Presse- und Informationsfreiheit in neuen Formen und Dimensionen, andererseits ist digitale Überwachung heute eine der größten Gefahren für Journalist:innen und ihre Quellen. Dass es eine globale Verflechtung zwischen Spähfirmen, demokratischen Regierungen und autokratischen Regimen gibt, zeigten die spektakulären Enthüllungen über die israelische Überwachungssoftware Pegasus. Neben zielgerichteter Überwachung höhlt auch Massenüberwachung den digitalen Quellenschutz zunehmend aus.

Während der Online-Diskussion wurde betont, wie wichtig der Schutz vor Überwachung für den internationalen Journalismus ist. In dem Zusammenhang war das von RSF erwirkte Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Mai 2020 ein Erfolg: Demnach ist die Überwachung von ausländischen Journalist:innen im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst an das deutsche Grundgesetz gebunden. Besorgniserregend ist hingegen, dass ein großer Teil der Journalist:innen in Deutschland und weltweit, vermutlich auch in Paraguay, das Risiko der Überwachung unterschätzt. Aus unserer Arbeit kennen wir zahlreiche Fälle, in denen Kolleg:innen in Gefahr gerieten, nachdem sie durch Regierungen, Behörden oder andere Akteure ausspioniert worden waren.

Doch nicht nur durch Regierungen, Geheimdienste und Behörden geraten Medien unter Druck: Seit einigen Jahren, und verstärkt seit Beginn der Coronakrise, werden öffentlich artikulierte Zweifel an der Unabhängigkeit der Medien besonders in westlichen Demokratien lauter. Offenbar kann größere Meinungsvielfalt auch zu vermehrten Zweifeln an Grundwerten und -rechten wie der Pressefreiheit führen.

Christian Mihr (2.v.l), Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, und Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte, stehen vor dem Bundesverfassungsgericht an einer symbolhaften Krake, auf der die Buchstaben BND angebracht sind. Der Erste Senat des Gerichts verhandelt mündlich über die Überwachungsbefugnisse. Diese sind seit 2017 zum ersten Mal gesetzlich geregelt. Die Kläger meinen, dass damit einer anlasslosen Massenüberwachung Tür und Tor geöffnet seien, © Foto: picture alliance/dpa / Uli Deck

Vom Wert der Solidarität

Ein Aspekt, den ich während des Gesprächs mit Andrés Colmán Gutiérrez und den paraguayischen Gästen einmal mehr zu schätzen gelernt habe: Bei Angriffen auf Kolleg:innen ist die Solidarität innerhalb der journalistischen Community in Paraguay, wie übrigens auch in anderen lateinamerikanischen Ländern, deutlich geringer ausgeprägt als hier in Deutschland. Das liegt unter anderem an deutlich schwächeren Journalismus-Gewerkschaften in Paraguay, die die Solidarität organisieren könnten. In Deutschland hingegen haben die wachsenden Angriffe auf Journalist:innen den Zusammenhalt meiner Wahrnehmung nach gestärkt.

Vor wenigen Wochen wurde der Friedensnobelpreis an zwei Medienschaffende verliehen: die philippinische Journalistin Maria Ressa, Gründerin des investigativen Mediums "Rappler", und Dmitri Muratow, Redakteur der regierungskritischen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta". Dies war ein ungeheuer ermutigendes Zeichen – und ein dringend gebotenes: Wenn uns das Menschenrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit wichtig ist, müssen wir das Recht auf freien Journalismus entschieden verteidigen – und zwar nicht nur in totalitären Regimen, sondern auch in demokratischen Staaten wie Deutschland und Paraguay.

Maria Ressa (links) und Dmitri Muratow (rechts) umarmen sich während der Friedensnobelpreisverleihung in Oslo am 10. Dezember 2021, © Foto: picture alliance / NTB / Heiko Junge

Über den Autor

Portrait von Christian Mihr

Christian Mihr

Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik

Christian Mihr ist Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik. Seit 2012 ist er Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). Er studierte Journalistik, Lateinamerikanistik und Politikwissenschaft in Eichstätt und Santiago de Chile.

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