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CCP-Alumna Alina Chaudry

Mit Kunst gegen Ungerechtigkeit

CCP-Alumna von 2010 über Mut, Wandel und Visionen

Als Alina Chaudry ihrer Familie mitteilte, dass sie Künstlerin werden wollte, erntete sie Skepsis. Kunst galt im Umfeld der jungen Frau in Pakistan nicht als Karriereweg. Heute, nach Stipendien, Künstlerresidenzen und internationalen Projekten, sieht das anders aus: Alina ist eine gefragte multidisziplinäre Künstlerin, die ihre Arbeit nutzt, um gesellschaftliche Missstände sichtbar zu machen und zu verändern. Im Rahmen des 20-jährigen CCP-Jubiläums, freuen wir uns auf solche Erfolgsgeschichten zurückzublicken.

Alina, was hat dich zu deiner Karriere als multidisziplinäre Künstlerin inspiriert?

Alina Chaudry: Ich war schon immer fasziniert von der Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Viele Menschen in meinem Umfeld sahen Kunst nur als traditionelle Malerei und nicht als realistische Karriereoption. Aber ich sah, wie sich ein neues Feld von digitaler Kunst entwickelte und beschloss, diesen Weg einzuschlagen. Was ich an meinem Beruf am meisten liebe, ist die Möglichkeit, das Bewusstsein für wichtige gesellschaftliche Themen wie Frauenrechte und soziale Ungleichheit zu schärfen.

Du hast 2010 am CrossCulture Fellowship teilgenommen. Wenn du jetzt zurückblickst, wie hat diese Erfahrung deinen persönlichen Werdegang geprägt?

Alina: Diese Frage bewegt mich sehr: Das ifa war die erste Institution, die mir Vertrauen geschenkt hat. Ich hatte eine privilegierte Kindheit und wuchs dennoch in einem Umfeld auf, in dem Mädchen nicht wirklich ermutigt wurden, ihren eigenen Weg zu gehen. Undenkbar war es, in eine andere Stadt zu ziehen und dort zu studieren.

Ich war eine Rebellin in meiner Familie und musste mir viel Kritik anhören. Aber das Fellowship hat mein Selbstvertrauen enorm gestärkt. Als ich das Stipendium des ifa und weitere internationale Förderungen erhielt, sahen aber auch die Menschen in meinem Umfeld meinen Erfolg und die kritischen Stimmen verstummten.

Welche Erfahrungen aus dem Fellowship sind dir besonders in Erinnerung geblieben und wie haben sie deine Arbeit in Pakistan beeinflusst?

Alina: Das Fellowship beim Offenen Kunstverein e.V. in Potsdam hat mir gezeigt, wie vielfältig und inklusiv Kunst sein kann. In Pakistan haben wir beeindruckende Kunstmuseen, die allerdings einer Elite vorbehalten sind. Aber in Potsdam ging es um Teilhabe: Der Verein ist ein Ort, an dem alle willkommen sind, unabhängig ihrer Herkunft und Fähigkeiten.

Im Mittelpunkt stand nicht die perfekte künstlerische Technik, sondern der gemeinsame Austausch, das Experimentieren und die Begegnung. Diese Erfahrung hat mich tief geprägt und schließlich zur Gründung von Rastay inspiriert, meiner eigenen Plattform für gemeinschaftsorientierte Kunst in Pakistan.

Diese Erfahrung hat mir die wahre Kraft der Kunst gezeigt: ihre Fähigkeit, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, auf Tabuthemen aufmerksam zu machen und echte Veränderungen anzustoßen.

Alina Chaudry
Alina sitzt mit zwei anderen Männern und zwei Frauen im Kreis in einer Wohnung.
Alina 2010 mit ihren Kolleg:innen vom Offenen Kunstverein e.V. in Potsdam.

Wie befasst ihr euch bei Rastay mit gesellschaftlichen Themen?

Alina: Eines unserer schwierigsten, aber auch bedeutungsvollsten Projekte befasste sich mit den sogenannten "Ehrenmorden". Meine Mitbegründerin und Freundin Faiza initiierte ein Kunstprojekt, nachdem eine Frau aus unserer Gemeinde ermordet wurde. Wir stellten eine Gruppe von Künstler:innen zusammen, kuratierten eine große Ausstellung und luden die Presse ein, um das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich war Co-Kuratorin und habe eine Performance entwickelt.

Die Resonanz war überwältigend. Dank der Sichtbarkeit, die wir geschaffen haben, wurde der Fall landesweit bekannt und der Täter schließlich verhaftet. Natürlich gab es auch heftige Gegenreaktionen und sogar Morddrohungen gegen uns. Aber diese Erfahrung hat mir die wahre Kraft der Kunst gezeigt: ihre Fähigkeit, Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, auf Tabuthemen aufmerksam zu machen und echte Veränderungen anzustoßen.

Auch nach deinem Fellowship 2010 hattest du engen Kontakt mit dem ifa. Welche Verbindungen hast du seitdem aufgebaut?

Alina: Das CrossCulture-Stipendium hat mich motiviert, weitere internationale Stipendien wahrzunehmen, darunter eines für Kunstmanagement in Großbritannien. Von 2013 bis 2015 war ich außerdem Country Representative für das CrossCulture-Programm und habe die deutsche Botschaft in Islamabad bei der Auswahl neuer Stipendiat:innen unterstützt.

Denn wie können wir von der nächsten Generation erwarten, dass sie sich für Frieden und Austausch engagiert, wenn sie nie mit anderen Kulturen in Berührung kommt?

Alina Chaudry

2016 erhielt ich ein ifa-Stipendium im Rahmen der Alumni:ae-Förderung für mein Kunstprojekt "Little Globians", das sich an Kinder aus benachteiligten Gemeinden richtete. Viele dieser Kinder hatten nie jemanden aus einem anderen Land getroffen und zu Hause kaum Zugang zu Medien. Durch kreative Aktivitäten und Spiele haben wir ihnen andere Kulturen nähergebracht, um Neugier und Empathie zu fördern. Denn wie können wir von der nächsten Generation erwarten, dass sie sich für Frieden und Austausch engagiert, wenn sie nie mit anderen Kulturen in Berührung kommt?

An welchem Projekt arbeitest du derzeit?

Alina: Derzeit arbeite ich in dem Bereich der Kunsttherapie an einem Projekt, das auf einem KI-Tool basiert und Menschen mit körperlichen Einschränkungen den Zugang zu künstlerischem Ausdruck ermöglichen soll. Die Idee entstand in Großbritannien, wo ich erstmals mit einer Bewegungserkennungssoftware in Kontakt kam. Mit ihr können Nutzer:innen digitale Kunstwerke erschaffen, indem sie ihre Hände bewegen. Die Gesten werden direkt in visuelle Muster auf dem Bildschirm übersetzt.

Nun möchte ich noch einen Schritt weitergehen und erforschen, wie sich diese intuitive, körperliche Form der Auseinandersetzung mit Kunst langfristig auf das Wohlbefinden von Patient:innen auswirkt. Dabei geht es mir nicht nur um die Förderung künstlerischer Aktivitäten, sondern auch darum, Ärzt:innen und Therapeut:innen wertvolle Erkenntnisse an die Hand zu geben.

Alina Chaudry arbeitet mit vier weiteren Personen in einem Workshop zusammen und erstellt Plakate
Alina bei einem Treffen der Ländervertreter:innen, das 2015 vom ifa-Programm CrossCulture in Berlin veranstaltet wurde.

Ich freue mich besonders auf weitere internationale Kooperation und darauf, neue Partner:innen und Kontakte zu gewinnen!

Das Interview führte Paulina Schilling für das CrossCulture Programm.

Über die CCP-Alumna
Porträt von Alina Chaudry
Alina Chaudry
Multidisziplinäre Künstlerin

Alina Chaudry ist multidisziplinäre Künstlerin und Gründerin der gemeinschaftsbasierten Kunstplattform "Rastay". Ihre Arbeit verbindet verschiedene Ausdrucksformen und künstlerische Ansätze, um Räume für Dialog, Teilhabe und kreativen Austausch zu schaffen. 2010 nahm sie als Stipendiatin am CrossCulture-Programm teil und war Country Representative für Pakistan von 2013 bis 2015.
alina.chaudry(at)gmail.com 

CrossCulture Programm

Das CrossCulture Programm (CCP) ermöglicht Berufstätigen und freiwillig Engagierten einen Blick über den kulturellen Tellerrand! Die Stipendiatinnen und Stipendiaten sammeln in Gastorganisationen in Deutschland oder in einem der über 40 Partnerländer professionelle Erfahrungen. Ziel der berufsbezogenen Aufenthalte ist es, zivilgesellschaftliche Netzwerke zwischen Deutschland und der Welt nachhaltig zu stärken.

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