Eine Frau steht vor einer interaktiven Kunstinstallation in bunten Farben.

Farbschichten der Resilienz

Eine belarusische Künstlerin über Kunst, Exil und Selfcare

Die belarusische Künstlerin und Aktivistin Elena Rabkina floh 2020 vor dem Lukaschenko-Regime in die Ukraine, nur um 2022 erneut fliehen zu müssen, als der russische Angriffskrieg begann. Mit Konflikten und Ungewissheit als ihre lebenslangen Begleiter hat sie persönliche Resilienzstrategien entwickelt, die sie nun mit anderen teilt.

Meditation, Bewegung, genug Wasser trinken - mit Begeisterung erzählt Elena Rabkina von ihren Lieblings-Selfcare-Basics. Während ihres Onlinekurses ist im Hintergrund ihrer Webcam eine Pflanze zu sehen, ab und zu trinkt sie einen Schluck Kamillentee. "Neurowissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass eine Umarmung von mindestens 20 Sekunden sowohl unsere psychische als auch unsere physische Gesundheit fördert."

Die belarusische Künstlerin und Aktivistin hat einen akademischen Hintergrund in Psychologie und bringt anderen leidenschaftlich gerne bei, wie sie sich in schwierigen Situationen um sich selbst kümmern und resilient bleiben. Doch diese Fähigkeiten hat sie nicht nur aus Büchern. Es waren ihre eigenen Überlebensstrategien, als sie 2020 vor dem Lukaschenko-Regime in die Ukraine und 2022 vor dem russischen Angriffskrieg floh.

Wahlen in Belarus 2020: Proteste, Repression und der Kampf um Freiheit

2020 lösten die Präsidentschaftswahlen in Belarus beispiellose Proteste im ganzen Land aus, als Alexander Lukaschenko einen umstrittenen Erdrutschsieg errang und Vorwürfe der Wahlfälschung laut wurden. Tausende Belarusen gingen auf die Straße und forderten freie und faire Wahlen, doch die Sicherheitskräfte gingen hart gegen sie vor. Die Repressionen des Regimes machten Belarus zu einem Brennpunkt von Menschenrechtsverletzungen mit Verhaftungen, Folter und Polizeigewalt gegen Demonstrant:innen. Viele Oppositionsführer:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen sind geflohen. Elena ist eine von ihnen.

"Freunde aus den USA besorgten mir ein Ticket nach Kiew. Ich nahm es und floh. Ich war nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen." In Minsk arbeitete Elena nebenberuflich an Kunstprojekten und organisierte Veranstaltungen wie Kunstfestivals. "Für diese Veranstaltungen hatten wir immer viele Bewerbungen von Freiwilligen. Diesen Gemeinschaftssinn und Enthusiasmus vermisse ich am meisten aus Belarus." Die schrecklichen Geschichten über das Schicksal derer, die nicht fliehen konnten, haben sie tief verletzt. "Unsere Zivilgesellschaft wurde zerstört. Viele meiner Freunde wurden eingesperrt, es gab so viel Ungerechtigkeit."

"Unsere Zivilgesellschaft wurde zerstört. Viele meiner Freunde wurden eingesperrt, es gab so viel Ungerechtigkeit."

Elena Rabkina
Elena steht auf einem Steg am Meer, über ihr ist ein blauer, wolkiger Himmel.
Elena am Meer in Odessa.

Ein Neuanfang in Odessa: Kunst und Resilienz

Elena zog nach Odessa, in den Süden der Ukraine. Es war ein besonderer Ort für sie, mit einer lebendigen Künstler-Community, dem Meer direkt vor der Haustür und Inspiration für Resilienz: "Die Menschen dort haben eine sehr starke Entschlossenheit, das Leben zu genießen, auf eine fast sture Art." Sie hat es vermieden, sich eine SIM-Karte zu besorgen, um offline zu bleiben, weit weg von den Nachrichten. "Es hat mir geholfen, Menschen um mich zu haben, die in einer ganz anderen Situation sind. Es gab mir ein Stück Normalität zurück."

Vier Fotografien von belarusischen Migrant:innen, die ins Meer gesprungen sind und im türkisblauen Wasser liegen.
Aus Elenas Fotoprojekt "Sea Heals". Es handelt von den Erfahrungen belarusischer Migrant:innen in Odessa, die mit den Folgen des politischen Umbruchs und der Verfolgung in ihrem Heimatland zu kämpfen haben.

In Odessa suchte sie nach Methoden, um mit ihrem posttraumatischen Stress umzugehen und sich in einem neuen Land zurechtzufinden. Dabei halfen ihr vor allem einfache Gewohnheiten. "Ich bin in einer Dynastie von Mediziner:innen aufgewachsen. Ich glaube, das hat meine Einstellung beeinflusst, Probleme als etwas zu betrachten, das ich mit den richtigen Maßnahmen lösen kann: Ich habe mir eine klare Tagesroutine erstellt. Das half mir, auf meinen Körper zu achten, regelmäßig zu essen und zu schlafen. Ich ging auch jeden Tag eine Stunde spazieren." Ein weiterer wichtiger Schritt war Akzeptanz: "Es ist schwer, eine neue Realität zu akzeptieren, die man nicht haben will. Aber es kostet viel Energie, sie abzulehnen und verändern kann man dadurch nichts."

"Es ist schwer, eine neue Realität zu akzeptieren, die man nicht haben will. Aber es kostet viel Energie, sie abzulehnen und verändern kann man dadurch nichts."

Elena Rabkina

Elena brauchte ein ganzes Jahr, um wieder zu Kräften zu kommen und Kontakt zur belarusischen Community in Odessa aufzunehmen. Inspiriert von ihren eigenen Erfahrungen und denen anderer Migrant:innen startete sie 2021 die Fotoausstellung "Sea Heals". Außerdem beschloss sie, einen Master in Psychologie zu machen.

Auf der Suche nach kreativen Wegen, um die Resilienz in ihrer Community zu stärken, gründete Elena zusammen mit ihrer belarusischen Freundin Nadezhda Yurieva den "Hedonist Club". Bei jedem Treffen stellte eins der Clubmitglieder eine Aktivität vor, die sie glücklich macht – und alle probierten sie aus. "Wenn Menschen über etwas sprechen, was sie wirklich lieben, strahlen sie so sehr, dass es schwer ist, sich nicht mitreißen zu lassen", sagt Elena. Eine Teilnehmerin war ganz vernarrt in Düfte und brachte viele kleine ätherische Öle mit. Die Gruppe roch daran und alle stellten ihr eigenes Parfüm her. Eine andere liebte Stop-Motion-Trickfilme und zeigte allen, wie man selbst einen kurzen Clip erstellen kann. "Im Grunde haben wir uns gegenseitig beigebracht, das Leben zu genießen. Wir konnten beobachten, wie die Leute zu unserem Club kamen und ein bisschen glücklicher wurden."

Zwei Fotografien von leicht verwelkten Sonnenblumen, die mit einem Verband umwickelt sind.
Elenas Fotoserie "Still Standing" ist der Resilienz der Ukrainer:innen gewidmet. Ganz gleich, wie die Bedingungen sind - Sonnenblumen werden immer dazu neigen, ihre Köpfe hochzuhalten und den Himmel zu erreichen.

"Wenn Menschen über etwas sprechen, was sie wirklich lieben, strahlen sie so sehr, dass es schwer ist, sich nicht mitreißen zu lassen"

Elena Rabkina

Das zweite Mal ins Exil

Der "Hedonist Club" startete gerade seine zweite Saison, als der russische Angriffskrieg in der Ukraine ausbrach. Schon Wochen zuvor war Elena aufgefallen, dass etwas seltsam war. Versicherungen wollten keine Flüge über die Ukraine mehr abdecken. Eines Tages telefonierte sie mit einem ukrainischen Freund, der im Bereich Cybersicherheit arbeitet. "Als ich ihn fragte, was los sei, sagte er: 'Alles ist in Ordnung', und ich sagte: 'Nichts ist in Ordnung. Du bist im Wald. In einer Militäruniform!'"

Aus Panik verließ sie die Ukraine am 14. Februar, acht Tage vor dem Angriff. "Ein Teil von mir wollte nicht glauben, dass es so weit kommen könnte, der andere Teil spielte Horrorszenarien durch. Diese wurden leider wahr, und ich verlor zum zweiten Mal meine Heimat, mit ungewisser Aussicht auf Rückkehr."

Wie stärkt Kunst die Resilienz?

Ihre Leidenschaft für die Kunst half ihr, die Resilienz zu bewahren, die sie sich zuvor aufgebaut hatte. Seit sie die Ukraine verlassen hat, arbeitet Elena ununterbrochen an Kunstprojekten und nimmt an verschiedenen Residenzen teil. Sie erkannte, dass dies auch ein wichtiger Teil ihres Trauerprozesses war. "Bei einigen meiner Projekte musste ich immer wieder über meine traumatischen Erlebnisse sprechen, aber das hat mir geholfen, darüber nachzudenken und sie zu verarbeiten."

Ein Werk, mit dem sie sich besonders verbunden fühlt, ist "Belarusian Dream", das im Pakhuis de Zwijger Cultural Center in Amsterdam ausgestellt ist. Mit dicken Farbschichten hat sie ein Bild von belarusischen Demonstrant:innen auf einen Porzellanteller gemalt. Dann zerschlug sie ihn. Nachdem die Scherben scheppernd auf den Boden fielen, sammelte sie die Scherben einzeln auf und setzte sie wieder zusammen. "Es gab Stücke, die ich nie wiederfand, und welche, die nie wieder in das finale Bild zurückkehrten." Die zerbrochenen Porzellanteile waren schwer, uneben und scharfkantig. "Ich musste aufpassen, mich nicht zu schneiden. Oft passten sie nicht, wenn ich sie zusammensetzen wollte, aber wenn sie es taten, umarmten sie sich fast. Es war magisch, wenn zwei Stücke wieder aneinander fanden."

Das Kunstwerk "Belarusian Dream" zeigt ein mit dicken Farbschichten auf einen runden Porzellanteller gemaltes Bild von belarusischen Protesten. Die Glasplatte wurde zerstört und wieder zusammengepuzzelt und auf einen schwarzen Hintergrund ausgestellt.
Der "Belarusian Dream" zeigt die belarusischen Proteste im Jahr 2020. Foto und Kunstwerk: Elena Rabkina

In Belarus bedeutet es Glück, wenn ein Teller zerbricht. "Ich glaube, ich habe mich danach wirklich verändert. Ich habe einen Teil meiner Seele in diesen Gegenstand gesteckt. Fast wie bei Harry Potter mit dem Horkrux-Konzept", berichtet sie lachend.

Nachdem sie zweimal durch Konflikte alles verloren hatte, stellte Elena fest, dass sie paradoxerweise auch Dinge gewonnen hatte: eine starke Verbindung zu sich selbst, die Möglichkeit, sich voll und ganz der Kunst zu widmen, und Strategien für Resilienz, die sie mit anderen teilen möchte.

Redaktion und Autoren
Elena steht vor ihrem Kunstwerk "Belarusian Dream".
Elena Rabkina

Elena Rabkina ist eine interdisziplinäre Künstlerin, Psychologin und Coach. Sie ist spezialisiert auf Migration und Lebensübergänge und verbindet Psychologie, Coaching und erfahrungsorientiertes Lernen. Derzeit schreibt sie ein Buch über Selfcare in turbulenten Zeiten.

Ihre Kunst umfasst Installationen, Fotografie und interaktive Projekte zu Identität, Migration und Politik. Außerdem entwickelt sie pädagogische Brettspiele zum Thema Medienkompetenz und psychische Gesundheit.

www.instagram.com/whoisrabkina
www.rabkina.org