Sprachlich sieht Ins A Kromminga für intergeschlechtliche Menschen in Deutschland einen Fortschritt, jedoch gibt es in Politik und Medizin noch viel zu tun. Mit der Organisation Intersex International (OII) setzt sich Kromminga für die Rechte von Inter* weltweit ein.
ifa: "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen" – mit diesem Satz des Komikers Karl Valentin beginnt eine Publikation über "Inter* & Sprache", die Sie verfasst haben. Zwar haben sich intergeschlechtliche Menschen in den letzten zwanzig Jahren mehr Gehör verschafft, aber in unserer Sprache – und damit in unserer Realität – sind sie noch immer so gut wie unsichtbar. Haben wir für diese Realität noch keine Worte?
Ins A Kromminga: Das hätte ich vielleicht vor zehn Jahren gesagt, aber inzwischen haben wir im deutschsprachigen Kontext ausreichend Worte dafür – eine Sprache, die weniger medikalisiert. Früher hieß es zum Beispiel "Menschen mit Intersexualität". Das hört sich an wie eine Krankheit und letztlich beeinflusst diese Vorstellung, dass man ein Syndrom oder eine Störung hat, auch die eigene Wahrnehmung. Wir sprechen heute von Inter* oder intergeschlechtlichen Menschen. Am besten ist es, die Menschen zu fragen, wie sie angesprochen werden wollen, denn es gibt auch intergeschlechtliche Menschen, die sich als weiblich oder männlich definieren. In meinem Fall ist es weder noch. Ich würde mich als "non-binary" bezeichnen. Für meine Anrede bevorzuge ich den Vor- und Nachnamen oder den Titel "Künstler*in". In der Schriftsprache den Unterstrich oder Stern.
ifa: Seit dem 1. Januar 2019 ist es in Deutschland möglich, beim Eintrag ins Personenstandsregister neben "männlich" und "weiblich" auch die Option "divers" zu wählen – ein Meilenstein auf dem Weg zur Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt?
Kromminga: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht genug. Noch haben wir uns nicht von den medizinischen Bevormundungen befreit. Für diese Eintragung ist nach wie vor ein Nachweis durch eine ärztliche Autorität erforderlich. Für Inter* bedeutet das eine erneute Pathologisierung. Positiv ist, dass der Eintrag und die Debatte darum Sichtbarkeit erzeugt haben.
ifa: Intergeschlechtlichkeit wird häufig zusammen mit LGBTQ, also Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer genannt. Können Sie kurz erläutern, was genau Intergeschlechtlichkeit ist – insbesondere im Unterschied zu Transsexualität?
Kromminga: Intergeschlechtlichkeit beschreibt Menschen, die mit Variationen der Geschlechtsmerkmale geboren sind, die den normativen Vorstellungen von männlich und weiblich nicht entsprechen. Das kann bei der Geburt ersichtlich sein, aber auch erst im Laufe des Lebens in Erscheinung treten oder auch gar nicht. Trans*-Personen haben hingegen eine Geschlechtsidentität, die sich von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht unterscheidet. Bei Inter* werden geschlechtsverändernde Eingriffe wie Operationen meist schon im Kindesalter vorgenommen, bei Trans* wiederum können körpermodifizierende Eingriffe gewünscht sein, sind aber mit großen Hürden verbunden.
"Kunst macht nicht Sagbares sichtbar."
ifa: Sie sind selbst bekennende Inter*Aktivist_in und verarbeiten das Thema auch künstlerisch. Welche Rolle spielt Kunst für Sie – welche kann sie für andere LGBTIQ-Menschen spielen?
Kromminga: Kunst ermöglicht einen Raum frei von Zuschreibungen. Sie macht sichtbar, was vielleicht noch nicht für jeden sagbar ist. Ich weiß natürlich, dass manche Inter*Personen durch meine Zeichnungen getriggert werden, wenn sie sich darin wiederfinden, aber selbst noch keinen Umgang damit gefunden haben. Wenn sie aber sehen, dass Themen, die sie selbst betreffen, einen öffentlichen Raum bekommen, empowert sie das. Als ich herausfand, dass ich Inter* bin, gab es niemanden, an dem ich mich hätte orientieren können. Insofern möchte ich auch Ansporn sein und andere Inter* motivieren, zu sich zu stehen und sich für ihre Rechte einzusetzen.
ifa: Am 26. Oktober wird weltweit der "Intersex Awareness Day" begangen. Er erinnert an die ersten Proteste von intergeschlechtlichen Menschen, die 1996 in Boston gegen die medizinische Behandlungspraxis von Inter* demonstrierten. Was bedeutet es heute, als intergeschlechtlicher Mensch bzw. als LGBTQ zu leben?
Kromminga: Weltweit sind wir mit Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen und Pathologisierungen aufgrund unserer Geschlechtsmerkmale konfrontiert. Aber wir sind keine homogene Gruppe, demnach sind auch die Erfahrungen unterschiedlich. Bei Inter* ist das Problem, dass jene, die bei Geburt oder in der Kindheit als intergeschlechtlich auffallen, mittels chirurgischer und medikamentöser Eingriffe unsichtbar gemacht und an die Erscheinungsformen "männlich" und "weiblich" angepasst werden – ohne ihre Einwilligung. Seit den 50er-Jahren und der verbreiteten Gendertheorie von John Money passiert das systematisch. Money vertrat die Auffassung, dass Männlichkeit und Weiblichkeit beliebig seien und man so früh wie möglich körperliche Veränderungen vornehmen müsse, damit sich die Person dann mit dem zugewiesenen Geschlecht identifiziert. So einfach funktioniert das natürlich nicht. Geschlechtsverändernde Operationen finden auch in Indien oder in afrikanischen Ländern statt, aber dort haben sie eine ganz andere Bedeutung, weil nicht jeder Zugang zu medizinischer Versorgung hat. In einigen afrikanischen Ländern kann eine Medikalisierung vor Kindsmord bewahren und somit Leben retten. Das ist eine andere Strategie, aber natürlich nicht die Lösung.
ifa: Die Natur ist vielfältig, erst die Kultur kategorisiert, schränkt ein und schließt aus. Wie unterscheidet sich die europäische von anderen Geschlechterkulturen? Welche Potenziale birgt eine transkulturelle Perspektive?
Kromminga: Grundsätzlich ist das Geschlechterbild in Europa dual geprägt, aber es gibt auch Beispiele europäischer Kulturen, in denen Geschlecht nicht immer binär verstanden wurde. Es gibt alternative Modelle aus diversen Kulturen in der ganzen Welt, von den amerikanischen indigenen Kulturen bis hin zu denen in Ozeanien. Und in Südasien gibt es zum Beispiel die jahrtausendealte Kultur und Tradition der Hijra. Ich finde es allerdings wichtig, andere Kulturen und ihren Umgang mit Geschlecht nicht zu glorifizieren. Jede Kultur hat ihre eigenen Vorstellungen und Grenzen. In der europäischen Geschichte wurden Menschen, die nicht in unsere Mehrheitsgesellschaften passten, schon immer reguliert und angepasst. Es gibt Rechtsprechungen aus dem 16. Jahrhundert, die belegen, dass Menschen per Gesetz ein Geschlecht auferlegt wurde.
"Geschlechtervielfalt sollte Schulbildung sein"
ifa: Sie sind als Awareness Raising & Campaigns Officer für die Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen Europa e.V. tätig (Organisation Intersex International Europe – OII). Welche Ziele verfolgt OII?
Kromminga: Wir setzen uns für den Schutz und die volle Durchsetzung der Menschenrechte intergeschlechtlicher Menschen in Europa und weltweit ein. Wir fordern, dass sie befähigt und bestärkt werden, die Entscheidungen selbst zu treffen, die ihre körperliche Unversehrtheit, Autonomie und Selbstbestimmung betreffen. Eine unserer Arbeitsgrundlagen ist die „Deklaration von Malta“ des dritten Internationalen Intersex Forums 2013. An deren Formulierung haben über 30 Inter*-geleitete Organisationen weltweit mitgearbeitet. Wir möchten aber auch die interessierte Allgemeinbevölkerung für die Thematik sensibilisieren. Ich persönlich finde, dass Geschlechtervielfalt Schulbildung sein sollte.
ifa: Mit welchen Methoden rückt OII intergeschlechtliche Menschen und ihre Rechte in den Fokus entscheidender Akteure, zum Beispiel in Politik, Medien und Bildung?
Kromminga: Wir bieten Trainings und Informationen zur Lebenssituation von intergeschlechtlichen Menschen und den an ihnen begangenen Menschenrechtsverletzungen und beraten EU- und UN-Institutionen in Bezug auf die Verletzung von Menschenrechten. Außerdem sind unsere Mitglieder in relevanten Arbeitsgruppen vertreten. Wir nehmen regelmäßig Stellung zu aktuellen politischen Entscheidungen und erarbeiten Kampagnen wie #MyIntersexStory. Dazu haben wir ein Buch mit 15 Geschichten veröffentlicht, die zeigen, wie der Alltag vieler Inter* in Europa aussieht.
ifa: Das Netzwerktreffen des ifa bringt LGBTIQ-Personen aus Deutschland und Ländern der MENA-Region sowie aus Zentral- und Südasien zusammen. Welche konkreten Ideen nehmen Sie mit für Ihre Arbeit bei OII?
Kromminga: Ich bin angesprochen worden, gewisse Informationen und Materialien in andere Sprachen zu übersetzen, vor allem ins Arabische. Wir fokussieren unsere Arbeit zwar auf den europäischen Kontext, aber andere Sprachräume sind enorm wichtig, auch weil es in Deutschland inzwischen eine große Arabisch sprechende Community gibt.
"Für Inter* gibt es oft keine eigene Community"
ifa: Seit 2019 ist OII selbst als Gastorganisation im CrossCulture Programm vertreten. Was hat Sie motiviert teilzunehmen?
Kromminga: Wir bekommen über diesen Austausch einen anderen Zugang zu Themen. Von unserer derzeitigen Stipendiatin aus Ägypten wissen wir, dass die Situation von Inter* und Trans* dort eine ganz andere ist. Es wird zum Beispiel kaum zwischen ihnen unterschieden. Viele Menschen der Trans*-Community sind eigentlich Inter*, aber für letztere gibt es keine eigene Community. Wir müssen natürlich aufpassen, dass wir bei diesem Austausch die eigene Wertvorstellung nicht auf andere Kulturen übertragen. Wir sollten bedenken, dass unsere Sprache in den westlichen Konzepten von Schubladen funktioniert. Wenn es in den Kulturen Begriffe gibt, die in den jeweiligen Communities entwickelt wurden, sollten wir diese respektieren.
ifa: Und zum Schluss: Welche Botschaft geben Sie anderen LGBTIQ-Aktivist*innen mit auf den Weg?
Kromminga: Wir sind schon längst Teil eurer Communities. Bezieht uns ein! Wenn ihr zu Inter*-Themen arbeiten wollt, fragt uns, ob wir mitmachen wollen oder sprecht Inter*-Organisationen wie OII an. Unterstützt uns und unsere Forderungen. "Nothing about us without us".
Interview von Juliane Pfordte
Zum englischen Blogbeitrag
Über Ins A Kromminga
Ins A Kromminga ist intergeschlechtlich*er Menschenrechtsaktivist*in und Künstler*in und arbeitet für die Organisation Intersex International (OII) Europe, die für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen kämpft. Krommingas künstlerische Arbeit konzentriert sich auf die Erfahrungen von Inter*; sie soll Fragen provozieren und das Interesse des Beobachters wecken.