Steirischer Herbst '22 Plakat mit dem Schrift "Ein Krieg in der Ferne"
© Design von Grupa Ee

steirischer herbst '22

​Ein Krieg in der Ferne

22. Sep 2022
 - 
16. Okt 2022
Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel
8010 Graz

Im Mittelpunkt des Festivals steirischer herbst '22 steht eine Ausstellung in beiden Flügeln des ersten Stocks der Neuen Galerie Graz. Historische Werke aus der Sammlung der Galerie treffen auf Projekte zeitgenössischer Künstler:innen, die eine neue Lesart der Sammlung durch das Prisma unbeachteter Kriege, verborgener Geschichte und verdrängter Konflikte bieten.

Bereits in der Vergangenheit wurden die Sammlungen der Neuen Galerie Graz – teilweise im Rahmen des steirischen herbst – neu beleuchtet, oft auf der Suche nach Formen und Medien, die die moderne und zeitgenössische Kunst vorwegnehmen. Diesmal liegt der Schwerpunkt auf Arbeiten, die in einer auf die Moderne zentrierten Kunstgeschichte meist im Schatten geblieben sind: Werke des 19. und 20. Jahrhunderts, die aufgrund ihrer figurativen und narrativen Qualitäten vernachlässigt wurden. Sie werden mit zeitgenössischen Werken – die meisten von ihnen neu in Auftrag gegeben – in verschiedenen Medien zusammengebracht. Diese liefern künstlerische und kuratorische Kommentare zu ominös-friedlichen Kunstwerken und verstärken die Echos nicht allzu lange zurückliegender Schlachten und deren weitreichender Folgen.

Die Ausstellung ist in Kapitel gegliedert und basiert auf subjektiven kuratorischen Entscheidungen, auf freien Assoziationen und Kontrapunkten. Im Zentrum steht der politische Umgang mit der Malerei; den roten Faden bildet ein wachsendes Gefühl der Bedrohung, verbunden mit den offenen und verschleierten Konfliktzonen der österreichischen Geschichte. Dazu gehören das historische Ressentiment angesichts des verlorenen Imperiums, die lange Geschichte des Kolonialismus, der Exotisierung und des Othering in Mittel- und Osteuropa sowie das Drama der Klassenkämpfe, die sich feierlich und spielerisch in Kunstwerken widerspiegeln.

Geförderte Künstler:innen: Assaf Gruber, Iman Issa, Willem De Rooij

Iman Issa, Animal Masks for Tribunal Scene (2022)
Iman Issas Installation ist Teil der 2019 begonnenen Serie Surrogates. Sie besteht aus einer Sammlung von Displays, von denen jedes aus Elementen zusammengesetzt ist, die einem fiktiven Filmset entnommen wurden. Requisiten, Equipment, Schauspieler:innen, Drehorte oder anderes Material nehmen wieder eine dreidimensionale Form an. Diese Elemente werden zusammen mit einer Textbeschreibung der wichtigsten Filmsequenz(en), in der sie vorkommen, präsentiert. Zusammen entfalten sie langsam eine neue Erzählung für einen Film mit dem Titel Surrogates, a film about things, to be used, in order of appearance, by self or others, for touching upon larger, insidious, or different things. Die Installation beim steirischen herbst bezieht sich auf eine Filmsequenz, die einen Schauspieler in verschiedenen Rollen als Täter, Opfer und Anwalt in einer Gerichtsszene zeigt, wie auf der frei stehenden Texttafel beschrieben. Im Kontext der anderen Arbeiten in der Ausstellung kann sie als eine Reflexion darüber gelesen werden, wie Künstler:innen mit Herrschaftsstrukturen umgehen – in denen sie Täter:innen, Opfer und Richter:innen zugleich sind.

Willem de Rooij, King Vulture (2022)
Willem de Rooijs Installation King Vulture besteht aus vier gemalten Kopien von Fotos, die vom Künstler bei Yaohui Zhu und seinem Team beim Yunxi Art Studio in Dafen, China, in Auftrag gegeben wurden. Die Originalfotos zeigen Werke des niederländischen Malers Jan Weenix (ca. 1640–1719) aus dem 17. Jahrhundert mit dem Motiv eines Königsgeiers. Dieser Aasfresser war in Europa erstmals zu sehen, nachdem er aus Kolonien in Nordbrasilien und Surinam eingeführt worden war. Weenix stellt diesen Vogel als exotisiertes Andere dar, das in fiktiven Kulturlandschaften schwebt, umgeben von anderen importierten Tieren, aber auch von solchen, die in den Niederlanden heimisch waren. Der Kontrast zwischen Realität und Fiktion, zwischen dem Lokalen und dem Exotischen in diesen Bildern veranschaulicht die moralischen, politischen und künstlerischen Manöver einer jungen Republik, die auch eine Kolonialmacht war. Seit mehr als einem Jahrzehnt forscht De Rooij über Weenix, dessen Cousin Melchior d’Hondecoeter (1635–1695) und ihren Schüler Dirk Valkenburg (1675–1721). Seine Analyse ihrer miteinander verbundenen Werke erzählt nicht nur die Geschichte der ikonografischen Förderung der Macht im niederländischen Kolonialreich, sondern auch eine Geschichte des Austauschs zwischen den Generationen und der gemeinsamen Autorschaft. Man könnte annehmen, dass es programmatische und wirtschaftliche Überschneidungen zwischen den niederländischen Malereiwerkstätten des 17. Jahrhunderts, mit ihrer üblicherweise hohen und vielseitigen Produktion, und den heutigen Praktiken in Dafen gibt. De Rooij hinterfragt durch die Überlagerung und Ausstellung verschiedener Reproduktionstechniken die zeitgenössische Ethik des Eigentums und der Leihpolitik von öffentlichen Sammlungen.

Assaf Gruber, Never Come Back (2022)
Museumsdepots sind Orte, an denen Dinge außer Sichtweite aufbewahrt werden, aber auch vor allzu schematischen historischen Urteilen geschützt sind. In seinem neuen Film setzt Assaf Gruber seine Erkundung der Backstage-Bereiche von Kunstinstitutionen fort und widmet sich den Beständen der Neuen Galerie Graz. Im käfigartigen Raum des Depots sehen wir einen nackten Musiker, der intensiv an einer Komposition arbeitet. Er ist inspiriert von Künstler:innen, deren Vergangenheit in einer Grauzone zwischen modernistischen Bestreben und einer Begeisterung für den Nationalsozialismus angesiedelt ist und deren Werke eine Vorliebe für das Exotische mit Lokalpatriotismus, religiöser Inbrunst und Erotik verbinden. Unser geheimnisvoller Protagonist spielt zaghaft eine bekannte Melodie. Es ist ein Lied, das viele von uns von Tanzflächen in ganz Europa kennen – aber wie viele von uns haben sich jemals die Mühe gemacht, auf den bemerkenswert rassistischen und imperialistischen Text zu hören?

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Galerie

Ausstellungsförderung

Das Programm Ausstellungsförderung unterstützt zeitgenössische Künstler:innen dabei, Kunstprojekte im Ausland zu realisieren.

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Anna Stergel

Charlottenplatz 17
70173 Stuttgart

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